Sagen und Legenden
Bei den Schotten am Steine
Bei den Schotten am Steine
Das Schottenkloster (Darstellung 17. Jh.)
Ein armer Pilger kam über die Teinfaltstraße – damals noch auf dem Steinfelde – und sank erschöpft auf einen Stein vor dem Schottenkloster nieder. Zur selben Zeit spielte am Neuen Markt ein Harfner aus Pisa Klagelieder auf den Tod Albrecht I.: erschlagen, so hieß es, von seinem habgierigen Neffen Johann von Österreich.
Der Pilger murmelte in sich hinein: Er wolle, ehe er die deutsche Erde verlasse, noch einmal durch die vertrauten Straßen gehen – Liebe, Treue, Gehorsam, Fleiß und Fröhlichkeit nannte er als Herzstücke der Stadt. Da öffnete ein Herold das Tor zur Freyung und rief aus, Friedrich der Schöne werde den Eid zur Herrschaft ablegen. Jubel brandete auf. Der Pilger aber fuhr wie getroffen hoch und wäre ohnmächtig zusammengesunken, hätte ihn nicht ein Knappe aufgefangen. Als dieser den Hut des Mannes lüftete, erkannte er das Gesicht des Mörders Johann. Erschrocken lief der Knappe davon und ließ den Bewusstlosen am Stein liegen.
Das Gerücht von Albrechts Mörder verbreitete sich im Nu, doch als die Menge zum Kloster stürmte, war der Pilger verschwunden. Einer rief: Nicht hier – am Kornmarkt (dem damaligen Kohlenmarkt) sei er, als Harfner verkleidet! Die Menschenmenge wogte zurück; auch dort war der Mann wie vom Erdboden verschluckt. So hieß es lange spöttisch in Wien: Wer etwas verloren habe, solle nur bei den Schotten am Steine suchen. [1]
Ort: Stein vor dem Schottenmünster (Freyung) · Bezug: Neuer Markt / Kohlenmarkt
Historischer Hintergrund
Zur Einordnung: Am 1. Mai 1308 wurde König Albrecht I. an der Reuß im Aargau von seinem Neffen Johann Parricida und Mitverschworenen erschlagen. Albrechts Sohn Friedrich der Schöne folgte als Herzog von Österreich und der Steiermark; die Sage verknüpft diese Ereignisse mit Wien, dem Schottenkloster und der Freyung. Ob der Täter je in Wien erschien, bleibt Erzählmotiv – die Pointe vom verschwundenen Pilger/Harfenmann erklärt das alte Spottwort vom Suchen „bei den Schotten am Steine“.
Quellen
- ↑ J. Gebhart: Österreichisches Sagenbuch. Wien 1862, S. 28–29.