Bäckerumzug
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Sagen und historische Wurzeln
Die populäre Sage vom Heidenschuss erzählt, dass ein Bäckerjunge im Keller eines Hauses nahe der Stadtmauer durch das Zittern von Wasser oder Würfeln auf einer Trommel eine unterirdische Sprengmine der Belagerer bemerkte. Seine Meldung soll die Gegenmaßnahmen ausgelöst und damit einen Teil der Stadt gerettet haben. Als Dank, so die Überlieferung, habe Kaiser Ferdinand I. der Bäckerinnung das Privileg erteilt, am zweiten Osterfeiertag mit Fahnen, Musik und Innungsbecher durch die Stadt ziehen zu dürfen.[4]
Historisch lässt sich die Vorstellung eines solchen Privilegs in Innungsordnungen und Stadtberichten wiederfinden. Die Bäcker wollten mit dem Umzug an ihre Leistungen sowohl bei der Versorgung der Bevölkerung mit Brot als auch an der militärischen Verteidigung der Stadt erinnern. Im 18. Jahrhundert wurde die Verbindung zur Türkenzeit bewusst gepflegt, etwa durch das Mitführen einer Türkenfahne oder durch Anspielungen in Sprüchen und Liedern.[5]
Der Innungspokal, mit dem die Gesellen beim Umzug Wein ausschenkten, wurde allerdings erst 1783 anlässlich der hundertjährigen Erinnerung an 1683 angeschafft – ein Beispiel dafür, wie spätere Generationen neue Objekte in einen älteren Brauch einfügten, um die Erzählung zu verdichten.
Ablauf und Erscheinungsbild des Bäckerumzugs
Volkskundliche Beschreibungen und zeitgenössische Quellen zeichnen ein recht genaues Bild des Bäckerumzugs. Laut einer Ordnung von 1628 zogen die Bäcker am Ostermontag auf den Platz Am Hof. Spätere Augenzeugenberichte verlagern den Termin auf den Osterdienstag. Ein Bericht aus dem frühen 18. Jahrhundert schildert, wie der Zug zu Mittag beim beflaggten Innungshaus am Salzgries begann und sich durch die Innenstadt bewegte.[6]
Die Bäckergesellen trugen eine einheitliche Festkleidung: dunkelblaue oder franzblaue Röcke, helle Hosen, weißseidene Strümpfe, Schnallenschuhe, dreieckige Hüte und Degen. Die Söhne der Meister hoben sich durch Federbusch und Goldschmuck auf dem Hut ab. Zum Zug gehörten zwei Träger des großen und des kleinen Innungsbechers, mehrere Fahnenträger mit goldenen Schärpen und goldbortierten Hüten sowie eine kleine Kavallerieabteilung, die den Aufzug begleitete. An der Spitze wurde, ganz im Modeton der Zeit, türkische Musik gespielt – eine Erinnerung an die Türkenkriege, aber zugleich modebewusste Klangfarbe.[7]
Die Route führte von Backhaus zu Backhaus. Vor jeder Bäckerei wurde Halt gemacht, Musik gespielt, die Fahne geschwungen und den Meisterleuten Wein aus den Silberbechern kredenzt. Dann zog man weiter, bis die Gesellen der Hofburg einen Ehrentrunk darbrachten und der Kaiserfamilie respektvoll ihre Aufwartung machten. Die letzte Station war die Wohnung des Bürgermeisters, wo der Altgeselle einen Spruch vortrug, der das Privileg des Umzugs und die Verdienste der Bäcker betonte. Insgesamt dauerte der Zug mehrere Stunden und endete mit Tanz und einem ausgiebigen Mahl auf der Herberge der Innung.[8]
Zeitliche Einordnung und Ende des Brauchs
Das "Wiener Diarium" berichtet ab 1710 mehrfach über den Bäckerumzug und macht deutlich, dass der Aufzug im 18. Jahrhundert zu den etablierten städtischen Ereignissen gehörte. In der Volkskunde wird der Bäckerumzug als typischer Osterbrauch der Berufsstände beschrieben, vergleichbar mit anderen Zunftbräuchen im deutschsprachigen Raum. Quellen nennen als Zeitraum der Durchführung zumindest das 16. bis frühe 19. Jahrhundert.[9]
Mit den wirtschaftlichen Belastungen der Napoleonischen Kriege und wiederkehrenden Teuerungen verlor der Umzug allerdings an Rückhalt. Nach 1809 oder 1811 wurde der Bäckerumzug eingestellt; einzelne Berichte nennen 1810 als letztes Jahr. Nur 1848, im Revolutionsjahr, wurde der Umzug noch einmal aus besonderem Anlass abgehalten – damals zu Ehren der Universität. Danach verschwand der Brauch aus dem lebendigen Stadtbild und blieb in Sagen, Festschriften und kulturhistorischen Darstellungen erhalten.[10]
Deutung und Nachwirkungen
Der Bäckerumzug ist ein Beispiel für Berufsbräuche, in denen Zünfte ihre Geschichte, ihre Rechte und ihre Rolle in der Stadtöffentlichkeit inszenierten. Die Wiener Bäcker verwoben dabei reale Pflichten der Bürgerwehr, die Versorgung der Stadt in Krisenzeiten und das Andenken an die Türkenbelagerungen mit legendenhaften Motiven. Die Sage vom Heidenschuss, die Türkenfahne und der Innungsbecher machten den Zug zu einer lebendigen Geschichtserzählung auf offener Straße.
In der Forschung wird der Bäckeraufzug auch im Zusammenhang mit dem Wiener Kipferl und dem sogenannten Türkenfeindbild gedeutet. Innungslieder und Festschriften des 19. Jahrhunderts betonen immer wieder die Tapferkeit der Bäcker in der Türkennot; die halbmondförmige Gebäckform wird in populären Erzählungen als kulinarische Erinnerung an den besiegten Gegner gelesen, auch wenn sich diese Deutung historisch nicht eindeutig belegen lässt.[11]
Heute ist der Bäckerumzug ein Stück Alt-Wien, das vor allem in Sagensammlungen, stadtgeschichtlichen Publikationen und der volkskundlichen Literatur zum Berufsbrauchtum weiterlebt. In der Erinnerung verbindet sich das Bild der in Blau und Weiß gekleideten Gesellen mit einem Wien der Osterumzüge, Innungshäuser und Stadtmauern – und mit der Vorstellung, dass ein Handwerk sich einmal im Jahr selbst festlich durch die Straßen führte.
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Quellen
- ↑ Hans Makart (Künstler), Entwurf zum Festzug 1879 - Die Müller und Bäcker, 1879, Wien Museum Inv.-Nr. 17738/7, CC BY 4.0, Foto: Birgit und Peter Kainz, Wien Museum (https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/112910/)
- ↑ Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien. Band 1. Wien: Kremayr & Scheriau 1992, Stichwort Bäckerumzug / Bäckeraufzug.
- ↑ Wien Geschichte Wiki, Artikel Bäckerumzug, mit Hinweisen auf die Heidenschuss-Sage und die Türkenfahne; Holczabek/Winter: Sagen und geschichtliche Erzählungen der Stadt Wien, Wien 1914, S. 80 f.
- ↑ Gustav Gugitz (Hg.): Die Sagen und Legenden der Stadt Wien. Wien 1952, Nr. 99: Der Heidenschuß; sowie SAGEN.at: Der Bäckeraufzug.
- ↑ Johannes Feichtinger: Das Wiener Kipferl. Zum Symbolwert eines Gebäcks. In: Kulinarik und Kultur. Speisen als kulturelle Codes in Zentraleuropa. Wien: Böhlau 2014, Abschnitt zum Bäckeraufzug.
- ↑ ABC zur Volkskunde Österreichs, Stichwort Berufsbräuche, Abschnitt zum Bäckeraufzug; Österreichische Zeitschrift für Volkskunde, Hinweise zu Osterbräuchen in Wien.
- ↑ ABC zur Volkskunde Österreichs, Berufsbräuche, mit Beschreibung von Tracht, Fahne, Bechern und Kavallerie im Wiener Bäckeraufzug.
- ↑ Gustav Gugitz: Das Jahr und seine Feste im Volksbrauch Österreichs. Band 1. Wien 1949, S. 193–195; dort eine ausführliche Beschreibung des Umzugs.
- ↑ ABC zur Volkskunde Österreichs, Berufsbräuche, sowie Wien Geschichte Wiki, Bäckerumzug.
- ↑ Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Bäckerumzug; Joseph Richter: Briefe des jungen Eipeldauers, Heft 11 und 16 (1803); Hinweise bei Caroline Pichler, Zeitbilder, Wien 1844.
- ↑ Johannes Feichtinger: Das Wiener Kipferl. Zum Symbolwert eines Gebäcks, Abschnitt über Bäckeraufzug und Türkenbild; Kipferl, in: Wikipedia, mit Verweis auf SAGEN.at: Der Bäckeraufzug.
