1934 - 1938: Ständestaat

Aus City ABC

Ständestaat

Der Ständestaat ist die zeitgenössische Selbstbezeichnung des autoritären Systems in Österreich, das sich nach der Ausschaltung des Parlamentarismus 1933/34 herausbildete und bis März 1938 bestand. In der Forschung und öffentlichen Vermittlung wird dafür häufig auch von Austrofaschismus oder – betont wertend und zugleich präzisierend – von der Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur gesprochen. [1][2]

Für Wien ist der Ständestaat nicht nur „Bundespolitik“, sondern Stadtgeschichte. Regierung, Ministerien, zentrale Sicherheitsapparate und Propagandaorganisationen saßen in Wien, und hier wurden die Konflikte besonders sichtbar: im Februar 1934 in Arbeiterbezirken und Gemeindebauten, im Juli 1934 beim nationalsozialistischen Putschversuch und in der Umformung des Wiener Gemeinwesens (Auflösung von Gemeinderat und Landtag, Einrichtung einer Bürgerschaft). [3][4][5]

Kurzüberblick

Der Ständestaat zielte auf eine „berufsständische“ Neuordnung, in der Parteien durch Stände- bzw. Berufsvertretungen ersetzt werden sollten. Politisch bedeutete das jedoch vor allem: pluralistische Willensbildung wurde abgeschafft, Opposition verboten und die Regierungsmacht in einem System gebündelt, das sich auf eine politische Monopolorganisation stützte. Als Einheits- und Sammelorganisation wurde die Vaterländische Front geschaffen; sie sollte die einzige legale politische Trägerstruktur sein. [6][7]

In Wien wurde diese Ordnung mit besonderer Wucht spürbar, weil hier die politischen Gegensätze der Ersten Republik räumlich konzentriert waren. Der Februar 1934 zerschlug die sozialdemokratische Infrastruktur in der Stadt, und danach wurde auch die kommunale Demokratie institutionell „umgebaut“. Die Besetzung des Wiener Rathauses, die Verhaftung von Bürgermeister Karl Seitz und die Auflösung von Gemeinderat und Landtag markieren dabei eine Wiener Schlüsselzäsur. [8]

Wien-Fokus

Wien war im Ständestaat Machtzentrum, Konfliktzone und Bühne politischer Symbolik zugleich. Regierung und zentrale Behörden arbeiteten in der Inneren Stadt (u. a. im Umfeld von Ballhausplatz und Parlament), während die gewaltsame Auseinandersetzung im Februar 1934 vor allem in Arbeiterbezirken und großen Gemeindebauten eskalierte. Das DÖW dokumentiert für Wien eine Reihe konkreter Brennpunkte, darunter Karl-Marx-Hof, Goethe-Hof und das Ottakringer Arbeiterheim. [9]

Auch die Umformung der Stadtpolitik ist als Wiener Ereignis greifbar. Die Bürgerschaft im Rathaus wird in der Darstellung der Stadt Wien ausdrücklich als „Scheinparlament“ beschrieben und steht exemplarisch dafür, wie demokratische Legitimation durch ernannte bzw. gelenkte Formen ersetzt werden sollte. [10]

Verfassung und politische Ordnung

Der Ständestaat verband autoritäre Exekutivmacht mit dem Anspruch einer berufsständischen Neuorganisation. Ein zentraler Fixpunkt ist die Maiverfassung 1934, die auf Grundlage des Bundesverfassungsgesetzes vom 30. April 1934 wiederverlautbart wurde und die neue Ordnung normativ absichern sollte. [11] In der politischen Praxis blieb der ständische Gedanke jedoch nur teilweise umgesetzt; mehrere Darstellungen betonen, dass die geplanten Stände- und Vertretungskörper nicht in der intendierten Form als echte Alternative zu Parlament und Parteienwirklichkeit funktionierten. [12][13]

Mini-Zeitleiste

Datum Ereignis (mit Wien-Bezug)
März 1933 Ausschaltung des Nationalrats; die Regierung regiert in der Folge autoritär auf dem Verordnungsweg. [14]
20./21. Mai 1933 Gründung der Vaterländischen Front als „überparteiliche“ Sammel- und spätere Monopolorganisation. [15]
12.–15. Februar 1934 Februarkämpfe; in Wien Eskalation u. a. in Gemeindebauten und Arbeiterbezirken. [16]
12. Februar 1934 Besetzung des Wiener Rathauses, Verhaftung von Bürgermeister Seitz; Auflösung von Gemeinderat und Landtag, danach Einrichtung der Bürgerschaft. [17]
30. April / 1. Mai 1934 Bundesverfassungsgesetz und Maiverfassung als normativer Rahmen des Ständestaats. [18]
Juli 1934 Nationalsozialistischer Putschversuch; Dollfuß wird ermordet (Regierungszentrum in Wien als Schlüsselort). [19]
März 1938 Ende des Ständestaats durch den Anschluss an das nationalsozialistische Deutschland. [20]

Mythentrennung

Behauptung Was stimmt?
Der Ständestaat war eine „demokratische“ Alternative zu Parteien und Parlament. Das System war autoritär: Parteienpluralismus wurde abgeschafft, Opposition verboten und die politische Willensbildung in einer Monopolorganisation gebündelt. [21][22]
Die Maiverfassung 1934 wurde „normal parlamentarisch“ beschlossen. Die Verfassung wurde im autoritären Kontext auf Grundlage eines Ermächtigungsgesetzes wiederverlautbart; der klassische parlamentarische Gesetzgebungsweg war zu diesem Zeitpunkt bereits ausgeschaltet. [23]
Der ständische Gedanke wurde vollständig umgesetzt; die Stände ersetzten das Parlament tatsächlich. In mehreren Überblicksdarstellungen wird betont, dass die berufsständische Ordnung bis 1938 nur teilweise Realität wurde; das „Ständestaat“-Programm blieb in wichtigen Teilen unvollendet bzw. funktionierte nicht als vollwertige Repräsentationsordnung. [24][25]
Ständestaat und NS-Regime sind dasselbe, daher müsse man sie einfach gleichsetzen. Die Systeme sind historisch zu unterscheiden. Das DÖW weist ausdrücklich darauf hin, dass eine pauschale Gleichsetzung des Ständestaats mit dem NS-Regime die unterschiedlichen Verfolgungs- und Herrschaftsstrukturen verwischt, auch wenn Kontinuitäten und Übergänge (etwa durch Repression, Haft und spätere Verfolgung) empirisch relevant sind. [26]
Wien blieb kommunalpolitisch weitgehend „normal verwaltet“; betroffen war nur die Bundesebene. Wien war direkt betroffen: Rathausbesetzung, Verhaftung des Bürgermeisters, Auflösung von Gemeinderat und Landtag sowie Einrichtung der Bürgerschaft als Ersatzkonstrukt werden in der Wiener Darstellung ausdrücklich als städtische Zäsur beschrieben. [27]
Die Vaterländische Front war eine echte Massenbewegung, die aus „spontaner Begeisterung“ entstand. Das Demokratiezentrum beschreibt die Vaterländische Front als Einheits-/Monopolorganisation, die politische Gegner nicht integrieren konnte; ihre gesellschaftliche Durchdringung beruhte vielfach auf Druck, Opportunität und institutioneller Bindung statt auf freier Konkurrenz und Mobilisierung. [28]
Navigation

← zurück zu 1934: Februarkämpfe
→ weiter zu Anschluss 1938

Quellen

  1. Haus der Geschichte Österreich (hdgö): Die Diktatur der vielen Namen. https://hdgoe.at/diktatur_der_vielen_namen
  2. Demokratiezentrum Wien (Lexikon): Ständestaat. https://www.demokratiezentrum.org/ressourcen/lexikon/staendestaat/
  3. Haus der Geschichte Österreich (hdgö): 1934: Februarkämpfe. https://hdgoe.at/februar-1934
  4. Österreichische Mediathek: Von der Republik zur Diktatur. https://www.mediathek.at/onlineausstellungen/praesidenten-und-kanzler/von-der-republik-zur-diktatur
  5. Stadt Wien – Presse: Die Bürgerschaft – Scheinparlament im autoritären Ständestaat (1934 bis 1938) im Wiener Rathaus. https://presse.wien.gv.at/2018/09/12/die-buergerschaft-scheinparlament-im-autoritaeren-staendestaat-1934-bis-1938-im-wiener-rathaus
  6. Demokratiezentrum Wien (Lexikon): Ständestaat. https://www.demokratiezentrum.org/ressourcen/lexikon/staendestaat/
  7. Haus der Geschichte Österreich (hdgö): Die Jahre der Kanzlerdiktatur (Ankündigungs-/Kontextseite: VF als Monopolorganisation, Verfolgung politischer Gegner). https://hdgoe.at/filmvorfuehrung-diskussion_kanzler_diktatur
  8. Stadt Wien – Presse: Die Bürgerschaft – Scheinparlament im autoritären Ständestaat (1934 bis 1938) im Wiener Rathaus. https://presse.wien.gv.at/2018/09/12/die-buergerschaft-scheinparlament-im-autoritaeren-staendestaat-1934-bis-1938-im-wiener-rathaus
  9. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW): Februar 1934 in Wien (Bezirkskapitel-Übersicht). https://www.doew.at/n/ab9cd/Februarkaempfe-1934
  10. Stadt Wien – Presse: Die Bürgerschaft – Scheinparlament im autoritären Ständestaat (1934 bis 1938) im Wiener Rathaus. https://presse.wien.gv.at/2018/09/12/die-buergerschaft-scheinparlament-im-autoritaeren-staendestaat-1934-bis-1938-im-wiener-rathaus
  11. Verfassungen.at: Verfassung des Bundesstaates Österreich (1934). https://www.verfassungen.at/at34-38/oesterreich34.htm
  12. Forum OÖ Geschichte: Ständestaat 1934–1938 (ständischer Gedanke nur teilweise umgesetzt). https://www.ooegeschichte.at/ausstellungen/wels-1938/meilensteine-zum-anschluss-wels-in-der-ersten-republik/staendestaat-1934-1938
  13. Demokratiezentrum Wien (Themenmodul): Der autoritäre „Ständestaat“. https://www.demokratiezentrum.org/bildung/ressourcen/themenmodule/demokratieentwicklung/demokratiegeschichte-in-oesterreich-1918-1938/der-autoritaere-staendestaat/
  14. Parlament Österreich: 12. Februar 1934: Österreich stürzt in den Bürgerkrieg. https://www.parlament.gv.at/aktuelles/news/archiv/j2014/2014_02_12_oesterreich_buergerkrieg
  15. Demokratiezentrum Wien (Themenmodul): Der autoritäre „Ständestaat“. https://www.demokratiezentrum.org/bildung/ressourcen/themenmodule/demokratieentwicklung/demokratiegeschichte-in-oesterreich-1918-1938/der-autoritaere-staendestaat/
  16. Haus der Geschichte Österreich (hdgö): 1934: Februarkämpfe. https://hdgoe.at/februar-1934
  17. Stadt Wien – Presse: Die Bürgerschaft – Scheinparlament …. https://presse.wien.gv.at/2018/09/12/die-buergerschaft-scheinparlament-im-autoritaeren-staendestaat-1934-bis-1938-im-wiener-rathaus
  18. Verfassungen.at: Verfassung des Bundesstaates Österreich (1934). https://www.verfassungen.at/at34-38/oesterreich34.htm
  19. Österreichische Mediathek: Von der Republik zur Diktatur. https://www.mediathek.at/onlineausstellungen/praesidenten-und-kanzler/von-der-republik-zur-diktatur
  20. Britannica: Austria – Authoritarianism, Dollfuss, Schuschnigg. https://www.britannica.com/place/Austria/Authoritarianism-Dollfuss-and-Schuschnigg
  21. Demokratiezentrum Wien (Lexikon): Ständestaat. https://www.demokratiezentrum.org/ressourcen/lexikon/staendestaat/
  22. Haus der Geschichte Österreich (hdgö): Die Diktatur der vielen Namen. https://hdgoe.at/diktatur_der_vielen_namen
  23. Verfassungen.at: Verfassung des Bundesstaates Österreich (1934). https://www.verfassungen.at/at34-38/oesterreich34.htm
  24. Forum OÖ Geschichte: Ständestaat 1934–1938. https://www.ooegeschichte.at/ausstellungen/wels-1938/meilensteine-zum-anschluss-wels-in-der-ersten-republik/staendestaat-1934-1938
  25. Demokratiezentrum Wien (Themenmodul): Der autoritäre „Ständestaat“. https://www.demokratiezentrum.org/bildung/ressourcen/themenmodule/demokratieentwicklung/demokratiegeschichte-in-oesterreich-1918-1938/der-autoritaere-staendestaat/
  26. DÖW (PDF): Keine Gleichsetzung des „Ständestaats“ mit dem NS-Regime (Gumz/Neugebauer). https://www.doew.at/cms/download/7qvdq/gum_neugebauer.pdf
  27. Stadt Wien – Presse: Die Bürgerschaft – Scheinparlament …. https://presse.wien.gv.at/2018/09/12/die-buergerschaft-scheinparlament-im-autoritaeren-staendestaat-1934-bis-1938-im-wiener-rathaus
  28. Demokratiezentrum Wien (Lexikon): Vaterländische Front. https://www.demokratiezentrum.org/ressourcen/lexikon/vaterlaendische-front/