Wiener Werkstätte
Was war die Wiener Werkstätte?
Die Wiener Werkstätte GmbH wurde 1903 in Wien gegründet. Träger war eine Produktionsgemeinschaft bildender Künstler, in der Architekten, Designerinnen, Kunsthandwerker und Grafiker zusammenarbeiteten. Gründungsmitglieder waren der Architekt Josef Hoffmann, der Grafiker und Maler Koloman Moser und der Industrielle Fritz Waerndorfer, der als Mäzen große Teile der Anfangsfinanzierung übernahm.[3][4]
Vorbild war das englische Arts-and-Crafts-Movement. Anstelle historistischer Stilkopien wollten Hoffmann und Moser einfache, klare, funktionale und zugleich elegante Formen entwickeln. Die Wiener Werkstätte arbeitete eng mit der Wiener Secession und der Kunstgewerbeschule zusammen und verstand sich als Labor für eine neue Lebens- und Gestaltungskultur in Wien um 1900.[5][6]
Geschichte
Gründung und frühe Jahre (1903 - 1914)
Die erste Werkstatt entstand in der Neustiftgasse 32-34; bald folgten Verkaufsräume im Stadtzentrum, unter anderem in der Kärntner Straße. Produziert wurden zunächst vor allem Metallarbeiten, Schmuck, Glas und kleinere Gebrauchsgegenstände, schon ab 1904 kam eine eigene Tischlerwerkstatt hinzu, die Möbel nach Entwürfen von Hoffmann, Moser und anderen ausführen ließ.[7]
Kennzeichnend für diese frühe Phase ist der Anspruch, alle Bereiche des Alltags zu gestalten: von der Visitenkarte und der Tapete über das Service bis zu ganzen Innenausstattungen. Wichtige Projekte waren etwa das Sanatorium Purkersdorf bei Wien, das zwischen 1904 und 1906 nach Plänen Hoffmanns und mit vollständiger Ausstattung durch die Wiener Werkstätte entstand, oder das Cabaret Fledermaus in der Innenstadt, dessen Mosaikfliesen, Möbel und Grafik zu den Ikonen des Wiener Jugendstil zählen.[8][9]
Die künstlerische Linie war klar, wirtschaftlich blieb die Unternehmung jedoch heikel. Waerndorfer schoss über Jahre hinweg Geld zu und musste 1913 Privatkonkurs anmelden; die Werkstätte wurde in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Neue Mäzene wie Otto und Eugenie Primavesi sowie Moritz und Hermine Gallia stützten das Unternehmen und ermöglichten prestigeträchtige Projekte wie das Palais Stoclet in Brüssel.[10]
Krieg, Zwischenkriegszeit und Ende (1914–1932)
Der Erste Weltkrieg traf die Wiener Werkstätte in einer Phase, in der sich das wirtschaftliche Umfeld ohnehin verschlechterte. Während viele männliche Mitarbeiter eingezogen wurden, prägten verstärkt Designerinnen und Kunsthandwerkerinnen die Produktion, etwa Gudrun Baudisch, Hilda Jesser, Vally Wieselthier oder Susi Singer. Gleichzeitig brachte der Ornamentgestalter Dagobert Peche ab 1915 neue, teils barock anmutende Bewegtheit in das Formenvokabular.[11][12]
Nach Kriegsende verschärften Inflation und Kaufkraftverlust die Lage. 1926 musste die Wiener Werkstätte ein gerichtliches Ausgleichsverfahren einleiten; ein Großteil der Gläubiger verzichtete auf Forderungen, sodass der Betrieb zunächst weitergeführt werden konnte. Dennoch gelang es nicht, das Angebot dauerhaft an den veränderten Markt anzupassen. 1932 wurde die Gesellschaft liquidiert, Restbestände 1932 versteigert; 1939 erfolgte die Löschung aus dem Firmenregister.[13]
In der Nachkriegszeit griffen andere Firmen den Namen und die Idee der Wiener Werkstätte wieder auf. Das Museum für angewandte Kunst (MAK) übernahm bereits 1955 das Archiv der Werkstätte und baute eine der weltweit wichtigsten Sammlungen zu ihren Objekten und Entwürfen auf.[14]
Arbeitsweise und Programm
Die Wiener Werkstätte verstand sich als Ort, an dem Entwurf und handwerkliche Ausführung eng zusammenspielen sollten. Leitmotiv war der Gedanke des Gesamtkunstwerks: ein Raum, ein Haus oder ein Ensemble von Möbeln, Stoffen, Leuchten und Gebrauchsgegenständen sollten in Haltung, Proportion, Material und Detailgestaltung aufeinander abgestimmt sein.[15]
Stilistisch reichen die Arbeiten von streng geometrischen, reduzierten Formen bis zu reich ornamentierten, floralen und gelegentlich barockisierenden Dekoren. Typisch sind hochwertige Materialien, präzise Ausführung und eine klare Haltung gegen Massenware: lieber wenige, sehr sorgfältig gearbeitete Stücke, als billig produzierte Serienware.[16]
Sparten und Produkte
Die Werkstätte war in mehrere Sparten gegliedert:
- Möbel und Innenräume – Stühle, Tische, Kästen, Einbau- und Sondermöbel für Privatwohnungen, Villen, Hotels und Sanatorien.
- Metall, Silber und Schmuck – Service, Besteck, Vasen, Dosen, Leuchter, Schmuckstücke und Ziergegenstände.
- Glas und Keramik – Vasen, Geschirr, Fliesen, figürliche Keramik und Objekte.
- Textilien – Möbel- und Dekorstoffe, Teppiche, Tapeten und Vorhangstoffe, vielfach mit geometrischen oder floralen Mustern.
- Mode und Accessoires – Hüte, Taschen, Modeaccessoires, Stoffe für Kleider, gelegentlich ganze Garderoben.
- Grafik, Plakate und Postkarten – über tausend nummerierte Künstlerpostkarten, Plakate, Etiketten und Drucksorten, oft mit sehr eigenständiger Typografie.[17][18]
Viele dieser Entwürfe wurden im Auftrag von spezialisierten Werkstätten oder Manufakturen ausgeführt, etwa durch die Textilfirma Backhausen, Glashersteller wie Loetz oder die Wiener Keramik. Die Wiener Werkstätte übernahm den Entwurf, die Koordination und den Vertrieb, häufig über eigene Verkaufslokale in der Innenstadt.[19]
Künstlerinnen, Künstler und Mäzene
Zu den wichtigsten Gestalterinnen und Gestaltern der Wiener Werkstätte zählen neben Josef Hoffmann und Koloman Moser unter anderem Carl Otto Czeschka, Otto Prutscher, Dagobert Peche, Oswald Haerdtl, Michael Powolny sowie eine Reihe heute wiederentdeckter Künstlerinnen wie Gudrun Baudisch, Mathilde Flögl, Hilda Jesser, Susi Singer oder Vally Wieselthier.[20][21]
Entscheidend für das Überleben des Unternehmens waren seine Mäzene. Neben Fritz Waerndorfer als frühem Finanzier spielten vor allem Otto und Eugenie Primavesi sowie Moritz und Hermine Gallia eine wichtige Rolle. Sie beauftragten Interieurs, Villen und ganze Ensembles und gaben der Werkstätte die Möglichkeit, ihre Ideen in großem Maßstab zu erproben – etwa im Palais Stoclet oder in Interieurs für ihre Privatwohnungen.[22]
Wichtige Projekte und Orte
Die Wiener Werkstätte hinterließ in Wien und darüber hinaus eine Reihe von Schlüsselwerken:
- Sanatorium Purkersdorf – Gesamtausstattung eines Reform-Sanatoriums vor den Toren Wiens nach Plänen von Josef Hoffmann.
- Cabaret Fledermaus – Kabarett in der Wiener Innenstadt, dessen Innendekoration mit Fliesenfries, Möbeln und Grafik zu den Ikonen des Wiener Jugendstil gehört.
- Geschäfte und Showrooms in Wien – etwa das Mode- und Kunstgewerbegeschäft in der Kärntner Straße, Innenräume für Kaufhäuser, Banken und private Wohnungen, die heute nur noch teilweise erhalten sind.[23][24]
Viele der originalen Innenräume sind nicht mehr vollständig erhalten. Umso wichtiger sind Museen wie das MAK, in denen Möbel, Silber, Keramik, Textilien und Grafik der Wiener Werkstätte in größerem Zusammenhang gezeigt werden.[25]
- Wiener Werkstätte – Beispiele
Nachwirkung und Gegenwart
Nach der Liquidation 1932 geriet die Wiener Werkstätte zeitweise in den Hintergrund, blieb aber in Sammlerkreisen präsent. Spätestens seit den großen MAK-Ausstellungen der 1960er und 2000er Jahre gilt sie wieder als zentrales Kapitel der Moderne in Wien um 1900.[26]
Viele ihrer Designs werden bis heute aufgelegt oder neu interpretiert: Textilentwürfe erscheinen wieder bei Backhausen, Silberservice und Besteckformen werden von spezialisierten Manufakturen gepflegt, und das MAK stellt einen großen Teil des Archivs und der Objekte online zur Verfügung. Gleichzeitig dienen die klaren Formen und Materialien der Wiener Werkstätte vielen zeitgenössischen Designerinnen und Designern als Referenzpunkt, wenn es um hochwertige, langlebige Gestaltung geht.[27][28]
Spazierideen in Wien
Wer der Wiener Werkstätte in Wien nachspüren will, kann mehrere Schwerpunkte setzen:
- Museumsrunde – Besuch des MAK mit der Schausammlung zur Wiener Werkstätte, anschließend Wien Museum (Schwerpunkt Wien um 1900).
- Jugendstil-Achse – Kombination mit einem Spaziergang zu Otto-Wagner-Bauten, Secession, Linker Wienzeile und Kirche am Steinhof.
- Innenstadt-Grätzl – Spurensuche nach Geschäftslokalen, ehemaligen Innenräumen und Spuren der Werkstätte in der Inneren Stadt.
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Quellen
- ↑ Wikipedia: Wiener Werkstätte, abgerufen 2025.
- ↑ WienTourismus: Best of Vienna – Wiener Werkstätte, wien.info, abgerufen 2025.
- ↑ Wikipedia: Wiener Werkstätte, Abschnitt Geschichte und Gründung.
- ↑ Österreichische Werkstätten: Geschichtlicher Rückblick, oew.at, abgerufen 2025.
- ↑ WienTourismus: Jugendstil und Moderne in der Architektur, wien.info.
- ↑ TheArtStory.org: Wiener Werkstätte Movement Overview.
- ↑ Wikipedia: Wiener Werkstätte, Abschnitte Möbel, Textilien, Keramik.
- ↑ VisitingVienna.com: The Wiener Werkstätte, Abschnitt Key Buildings and Interiors.
- ↑ WienTourismus: Wiener Werkstätte, wien.info.
- ↑ Wikipedia: Wiener Werkstätte, Abschnitt Geschichte; TheArtStory.org: Wiener Werkstätte, Abschnitt Patrons and Finances.
- ↑ Wikipedia: Wiener Werkstätte, Abschnitte 1914–1918 und Künstlerische Mitarbeiter.
- ↑ Julie M. Johnson: The Memory Factory. The Forgotten Women Artists of Vienna 1900, Purdue University Press 2012.
- ↑ Wikipedia: Wiener Werkstätte, Abschnitt Geschichte; Neue Freie Presse, 2. Juli 1926, Bericht zum Ausgleichsverfahren.
- ↑ MAK Wien: Wiener Werkstätte-Archiv, mak.at.
- ↑ TheArtStory.org: Wiener Werkstätte, Abschnitt Ideas and Aims.
- ↑ Wikipedia: Wiener Werkstätte, Motto und Fertigungsprinzipien.
- ↑ Wikipedia: Wiener Werkstätte, Abschnitte Möbel, Textilien und Keramik, Ansichtskarten.
- ↑ MAK Wien: Schausammlung Wiener Werkstätte, mak.at.
- ↑ Wikipedia: Wiener Werkstätte, Abschnitt Künstlerische Mitarbeiter und kooperierende Firmen.
- ↑ Wikipedia: Wiener Werkstätte, Abschnitt Künstlerische Mitarbeiter.
- ↑ Julie M. Johnson: The Memory Factory, Purdue University Press 2012.
- ↑ Wikipedia: Wiener Werkstätte; TheArtStory.org: Wiener Werkstätte, Abschnitt Key Patrons.
- ↑ VisitingVienna.com: The Wiener Werkstätte, Abschnitt Important examples.
- ↑ MAK Wien: Sammlung Wiener Werkstätte, mak.at.
- ↑ MAK Wien: Sammlung Online, Wiener Werkstätte.
- ↑ MAK Wien: Wiener Werkstätte-Archiv, Hinweise zu den Ausstellungen 1964, 1967 und 2003.
- ↑ wien.info: On the trail of Wiener Werkstätte designs, abgerufen 2025.
- ↑ MAK: Sammlung Online, sammlung.mak.at.


