Jugendstil
Was ist Jugendstil?
Unter Jugendstil versteht man im deutschsprachigen Raum die Variante des europäischen Art Nouveau, die sich etwa zwischen 1890 und 1910 entwickelt hat. Gemeinsame Klammer war der Wunsch, Kunst und Leben enger zu verbinden und alle Bereiche des Alltags – von der Grafik über das Kunsthandwerk bis zur Architektur – als zusammenhängendes Ganzes zu gestalten.[3]
Typisch sind streng stilisierte Naturformen, geschwungene Linien, betonte Flächen und eine neue Rolle der Schrift als Gestaltungselement. Gleichzeitig grenzt sich der Jugendstil bewusst von den historistischen Mischformen des 19. Jahrhunderts ab und gilt als wichtiger Schritt hin zur Architektur der Moderne.[4]
Jugendstil in Wien
In Wien verdichtet sich der Jugendstil zu einem eigenen Kosmos aus Architektur, Malerei, Grafik und Kunsthandwerk. Ein Schlüsselereignis war die Gründung der Wiener Secession im Jahr 1897 durch Gustav Klimt, Koloman Moser, Josef Hoffmann, Otto Wagner und andere Künstlerinnen und Künstler, die sich vom konservativen Künstlerhaus abspalteten.[5]
Das Secessionsgebäude von Joseph Maria Olbrich (1898) ist eines der bekanntesten Jugendstil-Bauwerke Europas: die weiße Kubatur, die goldene Blattkuppel und der programmatische Wahlspruch über dem Eingang werden oft als Manifest des Wiener Jugendstils gelesen.[6]
Parallel dazu begann Otto Wagner, die Wiener Stadtbahn (heute U4, U6 und S45) mit neuartigen Stationen, Brücken und Pavillons zu versehen. Ab 1898 zeigen die Stationen – etwa am Karlsplatz oder an der Wienzeile – eine florale Jugendstil-Sprache, die mit großflächigen Metall- und Steinoberflächen, Keramikfliesen und neuer Typografie arbeitet.[7]
1903 gründeten Josef Hoffmann, Koloman Moser und der Industrielle Fritz Waerndorfer die Wiener Werkstätte als Produktionsgemeinschaft bildender Künstler. Sie entwarfen Möbel, Textilien, Schmuck, Geschirr, grafische Arbeiten und ganze Innenräume, oft in enger Zusammenarbeit mit der Secession und der Kunstgewerbeschule. Ziel war das Gesamtkunstwerk, in dem vom Stuhl bis zur Tapete alles aufeinander abgestimmt ist.[8]
Formensprache und Motive
Die Wiener Variante des Jugendstil ist weniger üppig als manch französisches oder belgisches Vorbild, setzt aber sehr bewusst Akzente:
- Stilisierte Pflanzen, Blüten, Blätter, manchmal auch Fische, Vögel oder Insekten, oft in streng symmetrischen Mustern.
- Kombination von wertigen Materialien wie Stein, Glas, Keramik, Metall und Holz mit neuen industriellen Bauteilen.
- Flächige, geometrische Ornamente und Raster, besonders in den späteren Arbeiten Otto Wagners und der Wiener Werkstätte.
- Eine eigene Schriftkultur: Plakate, Kataloge, Hausinschriften und Signets sind gestaltete Bilder, nicht bloß Textträger.[9]
Wichtig ist der Gedanke des Gesamtkunstwerks: Gebäude, Innenräume, Möbel, Stoffe, Lampen und Gebrauchsgegenstände sollen ein stimmiges Ganzes bilden. Der Alltag wird zur Bühne, auf der Gestaltung eine tragende Rolle übernimmt.[10]
Wichtige Orte in Wien
Eine Auswahl von Orten, an denen sich Jugendstil in Wien besonders gut erleben lässt:
- Secession, Friedrichstraße – Ausstellungsgebäude der Vereinigung Bildender Künstler, 1898 von Joseph Maria Olbrich errichtet; bis heute Zentrum für Ausstellungen moderner und zeitgenössischer Kunst.[11]
- Otto-Wagner-Stadtbahn – Pavillons und Stationen an U4 und U6 (etwa Karlsplatz, Stadtpark, Hietzing, Schönbrunn), mit typischen grün-weißen Eisenkonstruktionen, Keramikplatten und floralen Details.[12]
- Kirche am Steinhof (St.-Leopold-Kirche) – 1904-1907 nach Plänen Otto Wagners errichtet, gilt sie als eines der bedeutendsten Bauwerke des Wiener Jugendstils und als erste moderne Kirche Europas.[13]
- Häuser an der Linken Wienzeile – Majolikahaus (Linke Wienzeile 40) und Musenhaus (Linke Wienzeile 38) zeigen mit ihren bunten Keramikfassaden und Reliefs den dekorativen Reichtum des Jugendstil in der Wohnhausarchitektur.[14]
- Innenräume der Wiener Werkstätte – etwa im ehemaligen Cabaret Fledermaus, in Villen und Wohnungen der bürgerlichen und großbürgerlichen Schicht sowie in Ausstattungen wie dem Sanatorium Purkersdorf oder dem Palais Stoclet (Brüssel, als österreichisches Exportprojekt).[15]
Jugendstil im Alltag
Jugendstil begegnet man in Wien nicht nur an ikonischen Bauwerken, sondern auch im Detail: in alten Ladenportalen, Portalbeschlägen, Treppenhäusern, Hausnummerntafeln, Laternen oder in grafisch gestalteten Plakaten und Bucheinbänden um 1900. Viele dieser Objekte sind heute in Museen wie dem Wien Museum, dem MAK oder der Österreichischen Nationalbibliothek zu sehen; andere tauchen im Stadtbild eher beiläufig auf, etwa bei Spaziergängen entlang der klassischen Ringstraßenachsen oder in ehemaligen Vorstadtvierteln.[16]
Spaziergänge
- Innenstadt und Ringstraße – Secession, Opern- und Ringbauten, Jugendstil-Details an Zinshäusern und Innenräumen.
- Linke Wienzeile und Wiental – Stadtbahn-Stationen, Majolikahaus, Musenhaus, begleitende Wohnbebauung.
- Westen und Steinhof – Kirche am Steinhof, Villa- und Siedlungsbauten in Penzing und Hietzing, Stadtbahntrassen und Brücken.
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Quellen
- ↑ WienTourismus: Jugendstil und Moderne in der Architektur, wien.info, abgerufen 2025.
- ↑ VisitingVienna.com: Jugendstil in Wien – Art Nouveau, abgerufen 2025.
- ↑ Artikel Art Nouveau und Jugendstil in: Wikipedia; TheArtStory.org: Vienna Secession Movement Overview.
- ↑ ThoughtCo: Ottos Wagner’s Selected Vienna Architecture, 2015; GalerieKLE: La Sécession viennoise ou art total, 2025.
- ↑ Wikipedia: Vienna Secession; TheArtStory.org: Vienna Secession Movement Overview.
- ↑ Secession: Offizielle Website, Rubrik Building; WienTourismus: Jugendstil und Moderne in der Architektur.
- ↑ VisitingVienna.com: Otto Wagner in Vienna; Wikipedia: Otto Wagner.
- ↑ WienTourismus: Best of Vienna – Wiener Werkstätte; Wikipedia: Wiener Werkstätte.
- ↑ WienTourismus: Jugendstil und Moderne in der Architektur; ViennaSecession.com: A History – Vienna Secession; wien.info: Wiener Werkstätte.
- ↑ Klimt-Datenbank: Wiener Werkstätte – Spheres of activity; VisitingVienna.com: The Wiener Werkstätte.
- ↑ Secession.at: Building; Fashiontouri: Secession Building – key symbol of Art Nouveau.
- ↑ VisitingVienna.com: Otto Wagner in Vienna; wien.info: Jugendstil und Moderne in der Architektur.
- ↑ WienTourismus: Otto Wagner – Kirche am Steinhof; Wikipedia: Kirche am Steinhof.
- ↑ wien.info: Jugendstil und Moderne in der Architektur (Abschnitt Linke Wienzeile).
- ↑ Wikipedia: Wiener Werkstätte; Klimt-Datenbank: Wiener Werkstätte.
- ↑ wien.info: Art Nouveau – Jugendstil in Vienna; Wien Museum: Sammlungsinformationen zur Epoche Wien um 1900.


