Sagen und Legenden
Die weiße Frau
1., Innere Stadt
Hofburg
Schweizerhof · Amalienburg · Burgkapelle
Hofspuk · Omen
Relevante Orte: Hofburg (Schweizerhof, Amalienburg, Trakte um die Burgkapelle); Gänge zu Augustinerkirche/Herzgruft
Wenn ein weißer Schleier durch die Höfe geht
Es heißt, dass in der Hofburg in einem der tiefen Keller ein Schatz versteckt sein soll. Er wird von einer weißen Frau bewacht, und man rechnet damit, dass den Schatz eines Tages an einen Würdigen übergeben würde. Sie erschien regelmäßig während der Kontrollgänge.
In stillen Nächten, wenn die Wache im Schweizerhof die Schritte zählt und der Wind an den Fahnen zupft, will man über den Hof einen weißen Schleier gleiten sehen. Er zieht vom Tor her, hält unter den Fenstern der Amalienburg und wendet sich dann der Burgkapelle zu. Man sagt: Zeigt sich die Weiße Frau, steht ein schweres Ereignis im Hause bevor.
Ein Offizier erzählte, er habe den Schatten einer Frauengestalt gesehen, schlicht und hochgewachsen, ohne Gesicht, aber mit einem Schal, der im Wind nicht flatterte. Als er den Degen an die Klinge legte, war sie bereits an der Kapellentür und verschwand, als sei sie durch den Stein gegangen. Am nächsten Tag läutete es in der Augustinerkirche; in der Herzgruft wurden Kerzen entzündet.
Andere meinen, die Weiße Frau sei eine alte Hausverwandte, die einst für die Ihren sorgte und nun erscheint, wenn ein Name ausgerufen werden soll. Wieder andere sagen, es sei nur das Mondlicht über hellem Putz. Doch wer spät durch die Höfe eilt und das Ohr offen hat, hört vielleicht ein Rascheln – wie von Seide – und bleibt unwillkürlich stehen.
Zum letzten Mal ließ sich die weiße Frau sehen, als Kronprinz Rudolf starb.
Auch im Theresianum soll die weiße Frau einem kranken Schüler erschienen sein. Er starb kurz nach dem Erlebnis. Die Torwache, die an diesem Abend eingesetzt war, sah die Erscheinung ebenfalls und verfiel dem Nervenfieber. [1]
Varianten der Erzählung:
Erscheinung vor Hofereignissen (Hochzeit/Todesfall) · Gestalt verweilt bei der Burgkapelle · weiße Rose auf Fenstersims am Morgen · skeptische Deutung: Mondschein, Wachenwechsel, flatternde Vorhänge.
Historischer Hintergrund
Zur Einordnung: Die Hofburg bündelt Hofzeremoniell, Trauer- und Hochzeitsorte (Burgkapelle/Augustinerkirche). Sagen vom Omen einer »Weißen Frau« sind an vielen mitteleuropäischen Fürstenhäusern überliefert; in Wien verknüpft der Volksmund die Erscheinung mit den Habsburger-Höfen und den Wegen zur Kapelle/Herzgruft. Die Figur verdichtet Hofalltag, nächtliche Lichter und leise Geräusche zu einer Vorzeichen-Erzählung zwischen Schweizerhof und Amalienburg.
[2]
Quellen
- Gustav Gugitz: Die Sagen und Legenden der Stadt Wien. Wien 1952 – Motivgruppe Hof-Omina/„Weiße Frau“ (Hofburg).
- Dehio Wien I (Innere Stadt): Hofburg – Schweizerhof, Amalienburg; Augustinerkirche/Herzgruft.
- Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien – Hofburg; Augustinerkirche; Herzgruft.
- ↑ Anton von Mailly: Niederösterreichische Sagen, Leipzig/Gohlis 1926, S. 6, www.sagen.at
- ↑ Wiener Hof- und Sagenüberlieferungen zu Hofburg/Omen; Topographie der Höfe und Kapellenzüge.