Bellariastraße 2
Haus: Bellariastraße 2 | Grund-Informationen | ||||||||
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Das Palais Epstein - Architektur und Geschichte
Das Palais Epstein wurde von Theophil von Hansen 1868-1871 im Auftrag des jüdischen Bankiers Gustav Ritter von Epstein geschaffen und ist im Stil der Neorenaissance, Bauleiter war der noch sehr junge Otto Wagner.
Das Gelände entlang des Rings war exklusiv und damit sehr teuer, deswegen konnte nicht das ursprünglich hier geplante Casino gebaut werden – das Geld für den Erwerb hatte nur der jüdische Bankier.
Das Erdgeschoss beinhaltete die Bank, im ersten Stock waren die prachtvollen Wohnräume der Familie Epstein – mit Schiebetüren, die in die Wände versenkt waren und Wänden, deren Oberfläche aus Stucco Lustro (eine Marmornachbildung aus Wachs) gestaltet waren.
Die Familie Epstein
Der Bauherr des Palais war Gustav Epstein, er wurde als Sohn eines reichen Textilgroßhändlers 1828 in Prag geboren. Der Reichtum der Familie kam eigentlich vom Großvater, der sein Vermögen als Marketender der österreichischen Armee in den napoleonischen Kriegen anhäufte. Der Vater von Gustav hatte einen erfolgreichen Stoffhandel aufgezogen (eines der Geschäfte befand sich in der Judengasse) und verlegte sich immer mehr auf Wechselgeschäfte. Der Sohn wurde bereits mit 21 Jahre der Leiter der Baumwolldruckfabriken, mit 27 ist er schon Prokurist und heiratet die acht Jahre jüngere Emilie Wehle (Tochter einer angesehenen jüdischen Familie aus Prag), mit der er einige Kinder hat. Als der Vater stirbt, verkauft er sein Erbe um rund 100 Millionen Euro nach heutigen Maßstäben (damals 10 Mio. Gulden) und gründet 1864 die Epstein Privatbank. Während des Preußenkrieges war Epstein einer der ersten Geldleiher für den teuren Krieg. Die Schlacht scheitert bei Königsgrätz, Österreich wird aus dem Deutschen Bund ausgeschlossen, Berlin wird zum Zentrum Europas und das Habsburgerhaus gerät immer mehr ins Schwanken.
Trotzdem spendet Epstein weiterhin hohe Beträge an das Kaiserhaus und bekommt schließlich sogar den Orden der Eisernen Krone 3. Klasse – und damit den Adelstitel.
Durch die gesetzliche Gleichstellung von Juden in der Doppelmonarchie im Jahr 1867 kommt es zu einer großen Einwanderungswelle, was Österreich zu Gute kommt: Es werden Arbeitskräfte und Kapital gesucht, beides kann die Zuwanderung garantieren. Zur gleichen Zeit entstehen durch die Schleifung der Stadtmauer die neuen Ringstraßengebäude, die überteuert an den (jüdischen) Mann gebracht werden. Ein Viertel der 101 Parzellen am Ring wird von Bankiers und Großhändlern gekauft, die meisten davon waren Juden, der Besitz eines Hauses am Ring bedeutete auch die Integration in die Wiener Gesellschaft.
Den teuersten dieser Baugründe kaufte Gustav Epstein und gibt seinen liebsten Architekten den Auftrag zur Planung: Theophil Hansen und dem jungen Otto Wagner. Im Erdgeschoß war die Bank Epsteins beheimatet, in einem kleinen Seitenraum beim Eingang saß, dezent versteckt, ein Mitarbeiter, der Geld an Hilfesuchende verteilte; Im Jahr kamen so Spenden von umgerechnet rund 800.000 € zusammen, also weit mehr, als für diese Klientel aus der Hofburg kam.
In die prächtige Beletage gelangte man über eine eigene Prunkstiege, direkt in die Wohnung der Familie Epstein. Im zweiten Stock war einer der teuersten Mietwohnungen Wiens, ebenfalls über eine eigene herrschaftliche Stiege zugänglich, die Wohnungen im dritten Stock waren schon etwas günstiger, im Dach wohnten, wie damals üblich, die Dienstboten.
Die besonders moderne Ausstattung der Wohnung verblüfft heute noch: Epstein ließ im ganzen Haus eine aufwendige Heizlüftung einbauen – und eine Sicherheitsanlage, wie es sie in Wien sonst nicht gibt. Bei Sanierungsarbeiten wurde entdeckt, dass in den Fensterbänken Stahlplatten eingearbeitet sind, die abends hochgekurbelt werden konnten.
Der kranke Epstein zog sich mit 43 Jahren aus den Bankgeschäften zurück, und widmete sich nur mehr der Kunst und seiner Sammlung niederländischer Maler. In seinem Studierzimmer lässt er sich als Freund der Musen darstellen – nicht als Wirtschaftsmagnat. Das Prachtstück des Palais ist der Fest- und Tanzsaal, der Drehtüren zur Vergrößerung des Ballsaales aufweist, die Türklinken können in Klappen im Türstock verschwinden.
Selbstmord im Palais Epstein
Während dem Börsenkrach gerät auch die Finanzwelt in Wien ins Wanken, es gibt zahlreiche Selbstmorde, viele Unternehmen gehen in Konkurs. Am 26.5.1873 wird ein weiterer Selbstmord bekannt: Adolf Taussig, ein 34 jähriger Mitarbeiter von Epstein, stürzte sich vom vierten Stock des Palais auf die Lothringerstraße. Er hatte seinen durch Spekulationen erworbenen Reichtum innerhalb kürzester Zeit auch verloren, und die Schulden aus der Kasse von Epsteins Bank beglichen. Epstein erhob keine Klage und verzichtete auch auf Schadenersatz. Mehr noch, er hilft allen Verwandten und Bekannten aus deren finanzieller Notlage und verliert damit sein gesamtes Vermögen. Nur das Palais kann er mit Mühe halten, indem er Hypotheken darauf aufnimmt, damit er seinem schwerkranken Sohn Friedrich das gewohnte Heim bieten kann. Als Friedrich mit 17 Jahren im Palais stirbt, zieht die Familie Epstein die Eschenbachgasse 11, dem Haus des Niederösterreichischen Gewerbevereins. Gustav Ritter von Epstein stirbt hier, im Alter von 51 Jahren, an Kehlkopfkrebs.
Weiternutzung des Palais
Nach 1877 zog vorerst die Imperial Continental Gas Association ein, die in Wien das Gaswerk betrieb und die öffentliche Beleuchtung einführte. Der Direktor der Werke, Henry Kames Drory wohnte bis 1899 auch hier. 1902 wurde das Haus vom Staat gekauft; nach Fertigstellung der Gasversorgung zogen die Engländer aus, und 1922 der Verwaltungsgerichtshof ein.
Während der Ersten Republik war hier der Stadtschulrat zu finden, der im Roten Wien möglichst nahe beim Rathaus sein sollte. Dieser musste 1938 dem Bauamt des Großdeutschen Reiches weichen. Der wunderschöne Tanzsaal des Palais mit den Deckengemälden von Christian Griepenkerl wurde zum Verhandlungssaal des Hitler-Regimes.
Hitler und Griepenkerls Deckengemälde
Hübsches Detail am Rande: dieser Christian Griepenkerl war es, der – nachdem er von Epstein nach Wien geholt und Professor der Wiener Akademie der Bildenden Künste geworden war – sowohl im Jahr 1907 als auch 1908 die Aufnahme an die Akademie eines jungen Mannes aus Linz ablehnte – nämlich die des Adolf Hitler. Es handelte sich also weder um einen Juden noch um einen Vertreter der entarteten Kunst.
Die Russen im Palais
1945, nach den Nazis, bezogen die Russen das Haus und errichteten hier ihre Zentralkommandantur. Es fanden unzählige blutige Verhöre hier statt, Selbstmorde waren häufig. Nachdem sich ein Häftling zum Fenster hinaus gestürzt hatte, wurden die Fenster im dritten Stock vergittert.
Erstaunlich ist, dass die Russen das Haus nicht so verwüstet zurückließen, wie viele andere Bauwerke; Zu verdanken war dies einem kultivierten sowjetischen Funktionär, der die Russen ermahnte, mit dem wertvollen Bau sorgsam umzugehen.
Heutige Nutzung
Nach dem Staatsvertrag, 1955, bezog wieder der Stadtschulrat seine gewohnten Büroräumlichkeiten. Erst 2001 benötigte das Parlament mehr Platz und übersiedelte 2005 in die restaurierten Räume. Heute sind parlamentarische Klubs, Veranstaltungs- und Ausstellungsräume sowie die Demokratiewerkstatt für Kinder und Jugendliche hier untergebracht.
Das Palais Epstein kann – gemeinsam mit einer Tour durch das Parlament – besich-tigt werden. Es bietet sich aber auch an, die Tour virtuell zu machen: Das virtuelle Parlament.
http://www.parlament.gv.at/GEBF/EPSTEIN/PANORAMEN/index.shtml
Gedenktafeln
An den Fassaden des Hauses sind einige Gedenktafeln angebracht, wie die der Psychologen Dr. Dr. Karl (1879 – 1963) und Dr. Charlotte (1893 - 1974) Bühler. Die Gedenktafel für Otto Glöckel (1874-1935), Präsident des Stadtschulrates, befindet sich links vom Eingang, das Bronzerelief ist von Erich Pieler aus dem Jahr 1954. Auf Seite der Volksgartenstraße ist eine dritte Gedenktafel angebracht, sie gilt dem Publizisten Leon Zelman (1026-2007).
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Quellen
- http://www.parlament.gv.at/ZUSD/SONSTIGES/Brigitte_Hamann.pdf
- Parlament im Wandel – offenes Parlament? FORUM PARLAMENT Jg. 3, Nr. 2/2005, 49-54