Stephansdom: Das erste Veilchen

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Sagen und Legenden - Stephansdom
Stephansdom: Das erste Veilchen

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Das Veilchenlied im Original von Neidhart von Reuenthal kann hier nachgelesen werden.

Weiterführendes zur Tradition des Wiener Veilchenfestes findet sich in einem Beitrag der Wiener Zeitung.[1]

Die Legende vom ersten Veilchen
Neidharts Grabmal beim Stephansdom

Es war in jenen Zeiten Brauch, dass derjenige, der in der Frühlingszeit das erste Veilchen fand, den Ort geheim hielt und nur wenigen Vertrauten verriet. Wenn sich die Jugend versammelt hatte, zog man gemeinsam zu dieser Stelle hinaus, um bei Tanz, Spiel und Wein den Beginn des Frühlings zu feiern.

Eines Märzmorgens entdeckte Ritter Neidhart von Reuenthal das erste Veilchen des Jahres. Er deckte es sorgsam mit seinem Hut zu und eilte nach Wien zurück, um seine Freunde zu holen. Ein Bauer jedoch, den Neidhart schon öfter verspottet hatte, beobachtete ihn. Kaum war der Ritter verschwunden, pflückte der Bauer das Veilchen, setzte eine andere, übelriechende Pflanze an seine Stelle, legte den Hut darüber und schlich davon.

Nicht viel später zog die fröhliche Schar aus der Stadt heran, an ihrer Spitze Neidhart. Nach altem Brauch tanzte man im Kreis um den Hut, bis jemand ihn lüftete – und unter dem Hut nur das stinkende Ersatzgewächs fand. Einige glaubten, der Ritter wolle sie zum Narren halten, andere lachten. Neidhart aber wurde vor Scham zornig und zog sich verbittert zurück.

Auf dem Weg ins nächste Dorf hörte er schon von weitem Gesang und Reigenklang. Als er näherkam, sah er sein Veilchen an einen Stab gebunden, um den sich Alt und Jung in fröhlichen Sprüngen drehte. Der ertappte Bauer, der den Raub begangen hatte, verriet sich durch sein Gesicht; Neidhart entbrannte vor Wut, erschlug den Bauern – und in der Raserei noch einige andere dazu. So endete das Spiel um das erste Veilchen in Blut und Schuldbewusstsein.

Historischer Hintergrund

Die Legende vom ersten Veilchen knüpft an die Figur Neidharts an, eines Minnesängers des 13. Jahrhunderts, der in den Quellen meist als Neidhart von Reuental bezeichnet wird. Er gilt als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Dichter seiner Zeit; um seinen Namen hat sich ein eigener Liedkreis mit rund 130 überlieferten Liedern gebildet.[2] Charakteristisch sind seine derben Schwänke, in denen der höfische Ritter immer wieder mit bauernschlauen Dorfbewohnern aneinandergerät.

Der sogenannte Veilchenschwank, auf den die hier erzählte Geschichte zurückgeht, gehört zu den bekanntesten Erzählungen aus diesem Neidhart-Kreis. Im Zentrum steht das Spiel um das erste Veilchen des Jahres: Wer es findet, gewinnt Ansehen und die Gunst der Gesellschaft – verliert der Ritter diese symbolische Blume, verliert er zugleich Ehre und Gesicht.[3]

Die Verbindung zum Stephansdom ergibt sich über das sogenannte Neidhart-Grab an der Südseite in der Nähe des Singertors. Das Hochgrab zeigt eine liegende Ritterfigur, zu deren Füßen ein Löwe ruht; es wird seit dem 18. Jahrhundert mit Neidhart in Verbindung gebracht. Das Sockelrelief war ursprünglich mit Szenen aus Neidhart-Schwänken geschmückt, unter anderem mit der Veilchengeschichte, ist aber im Lauf der Zeit stark verstümmelt worden.[4] Ob hier tatsächlich der Minnesänger Neidhart von Reuental oder der spätere Spaßmacher Neidhart Fuchs bestattet ist, bleibt ungeklärt; bei Untersuchungen wurden die Skelette zweier Männer mit großem Altersabstand gefunden.[5]

Parallel zur literarischen Überlieferung entwickelte sich in Wien der Brauch des Veilchenfestes: Wer im Frühling das erste Veilchen fand, behielt den Ort für sich und verriet ihn nur einer ausgewählten Runde. Gemeinsam zog man dann hinaus, um bei Tanz, Musik und Wein den Frühlingsbeginn zu feiern. In Sagensammlungen und Zeitungstexten wurde dieser Brauch im 19. und 20. Jahrhundert gerne mit Neidhart und seinem Veilchenlied verknüpft.[6]

Vertiefende Informationen: Die Erzählung vom ersten Veilchen beleuchtet typisch neidhartsche Motive: Auf der einen Seite steht der Ritter, der sich seiner höfischen Herkunft und seines Anspruchs auf Anerkennung sicher ist, auf der anderen Seite stehen die Bauern, die ihm mit List und Spott die Schau stehlen. Das kleine Veilchen wird so zum Symbol für verletzte Ehre, verspottete Männlichkeit und den Bruch unausgesprochener Regeln im dörflichen Miteinander.[7]

Die Gewalt am Ende der Sage ist kein Zufall: Viele Neidhart-Schwänke spielen damit, dass der scheinbar harmlose Jahreszeiten- oder Liebesspaß plötzlich kippt und in Handgreiflichkeiten ausartet. Das Lachen bleibt den Beteiligten im wahrsten Sinn des Wortes im Halse stecken. In der Wiener Tradition rund um das Neidhartgrab wurde dieses Motiv weiter ausgeschmückt und mit konkreten Schauplätzen in der Stadt verbunden – vom Friedhof rund um den Stephansdom bis hin zu den Festen der städtischen Jugend.

Wer den literarischen Hintergrund genauer kennenlernen möchte, kann das Veilchenlied selbst nachlesen (Veilchenlied); dort steht der Text in der mittelhochdeutschen Fassung und in moderner Übertragung zur Verfügung. Kunsthistorisch führt der Weg vom Grabmal beim Stephansdom weiter zum Neidhart-Festsaal des Wien Museums in der Tuchlauben, wo Wandmalereien aus dem 14. Jahrhundert Szenen aus dem Neidhart-Kreis zeigen und die lange Nachwirkung dieser Stoffe im städtischen Gedächtnis anschaulich machen.[8]

Quellen

  1. Wiener Zeitung: Das Wiener Veilchenfest
  2. Vgl. de.wikipedia.org: Neidhart, abgerufen 2025.
  3. Vgl. de.wikipedia.org: Veilchenschwank.
  4. Vgl. Musical Life: Das Neidhartgrab am Wiener Stephansdom, musical-life.net.
  5. Vgl. Wien Geschichte Wiki: Neidhart Fuchs, geschichtewiki.wien.gv.at.
  6. Vgl. Wiener Zeitung: Das Wiener Veilchenfest; sowie sagen.at: Das Veilchenfest.
  7. Vgl. Natureingang und Symbolik in den Liedern Neidharts, wiki.uni-konstanz.de.
  8. Vgl. Wien Museum / Neidhart-Festsaal, wienmuseum.at.