Stephansdom:Gedichte, Alle Neune

Aus City ABC

Gedicht
Albrecht Graf Wickenburg: Alle Neune
Die Sage über die Kegelbahn im Stephansdom wurde von Albrecht Graf Wickenburg in Gedichtform erzählt.


Im Stephansturm, auf hohem Plan,
Gab's auch mal eine Kegelbahn,
Wie die Chronisten schreiben —
So tät ein Turm- und Feuerwart
Sich damals auf gut Wienerart
Die Langeweil vertreiben!

Das Spiel, das alle Muskeln strafft,
Ward mählig ihm zur Leidenschaft,
Nur Partner fand er keine —
Denn allen schien sein Glück zu grob:
So oft er in die Vollen schob,
So traf er alle Neune!

Was tut's? Er treibt allein den Spaß,
Und bald, bei Spiel und Branntweinglas,
Versäumt er seine Pflichten,
Und spielt und trinkt in Frevlerlust,
Auch wenn sie in Sankt Stephan just
Den Gottesdienst verrichten!

Einst, als er so die Nacht durchfegt,
Da sieht er, wie's Glockzwölfe schlägt,
Sich ein Gespenst erheben,
Und er — dem Teufel sonst zu keck —
Er schiebt in seinem jähen Schreck
Zum ersten Mal daneben!

Der Gast ihn jetzt ans Fenster winkt,
Wo unten tief ein Lichtlein blinkt,
Und raunt: "Lass' ab vom Spiele,
Und acht' auf Glöcklein und Latern' —
Der Priester trägt den Leib des Herrn
Zu Einem, der am Ziele!"

Da lacht der Türmer toll und wild:
"Was predigst Du da, Schreckgebild?!
Komm' lieber Kegelschieben!
Ich wette doch, Du grauer Wicht,

Du triffst mir alle Neune nicht,
Wie ich's tu' nach Belieben!"

Der Graue grinst und nickt nur drauf,
Der Türmer stellt die Kegel auf,
Das heißt: Nur ihrer achte —
en neunten schiebt er hübsch beiseit'
Und wirft in aller Heimlichkeit
Ihn aus dem Fenster sachte.

Da reckt der Geist sich hoch empor,
Und niederfällt der graue Flor
Von schneeigen Gebeinen:
"Ich zählte neun, die muß ich mäh'n,
Und lässt Du mir nur achte steh'n,
So treff' ich acht . . . und einen!"

Starr lehnt der Türmer an der Wand,
Wie festgenagelt und gebannt,
Gleich Eulen an der Scheune —
Die schwere Kugel rollt heran,
Acht Kegel fallen und ein Mann —
Freund Hein schob alle Neune!



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