Wien - von Ignaz Franz Castelli

Aus City ABC

Gedichte
Ignaz Franz Castelli: Wien
Ein lustiges Gedicht über Wien und seine Eigenheiten schrieb Ignaz Franz Castelli (* 6. März 1781 in Wien; † 5. Februar 1862 Wien).
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Wenn sie mir zu Hause Beschreibungen machten
Von Wien und all seiner Herrlichkeit,
Da ging dahin all mein Dichten und Trachten,
Von nun an war ich voll Traurigkeit.
Mich reizte nichts mehr in dem kleinen Städtchen,
Nicht einmal der Wein, nicht einmal die Mädchen,
Sah immer fort nur nach der Donau hin
Und sehnte mich nur nach Wien — nach Wien.

Und als ich magerer wurde fast täglich,
Da sprach die Mutter ein gutes Wort
Beim Vater, beschrieb meine Sehnsucht ihm kläglich,
Und sagte: Lass doch den Jungen fort!
Der Alte — er sah', es half nichts mehr dagegen,
Gab endlich Erlaubnis und seinen Segen
Und sprach: Geh in's Himmelsnamen denn hin!
Wirst aber schon sehen, es tut's nicht in Wien!

Entzückt packt' ich meine Sachen zusammen,
Und setzte auf einen Stellwagen mich,
Und als wir endlich zur Wienerstadt kamen
Da nahte ein Herr unsrem Wagen sich
Der fragte mich aus, es war zum Erstaunen,
Auch hatt ich viel Not mit zwei fetten Kapaunen,
Die ich zur Muhme sollt' tragen hin,
Ich sah wohl, man kommt nicht so leicht nach Wien.

Wir fuhren in eine großmächtige Schenke,
Und dorten blieb ich die erste Nacht,
Doch muss ich sagen, dass keine ich denke,
Die ich so jämmerlich zugebracht;
Denn wie es nur anfing am Himmel zu dämmern,
So fingen die Schlosser schon an zu hämmern,
Und Wagen rollten stets her und hin,
Ich sah, man schläft miserabel in Wien.

Am nächsten Tag wollt ich zur Muhme gehen,
Und schritt durch Gassen und Gässchen viel,
Da gab es gar Manches zu hören, zu sehen,
Und überall war ein entsetzlich Gewühl,
Ich konnte durch alle die gaffenden Mengen
Mit großer Mühe nur durch mich drängen,
Man stieß mich bald her und stieß mich bald hin,
Man kriegt viele Rippenstoße in Wien.

Ich wollte mir nun auch mein Brot verdienen,
Und klopfte an allen Türen an,
Allein mir wollte das Glück nicht grünen
Und nirgend wurde mir aufgetan,
Bald fand ich nichts mehr in den leeren Säcken,
Und teuer war Alles, ach teuer zum Schrecken;
Ich sah, kommt man nicht mit viel Gelde dahin
So kann man gar nicht leben in Wien.

Ich hatte ein herrliches Mädchen gesehen,
Das hingab sich ganz meiner Zärtlichkeit,
Doch bald sollt' mit ihr ich zum Tanze gehen
Und bald ihr kaufen ein neues Kleid,
Und da mir nun dieses zu hoch war gekommen,
So hat sie sich einen Andern genommen,
So, dass ich jetzt ganz überzeuget bin
Man darf auch gar nicht verliebt sein in Wien.

So ging es denn täglich mir schlimmer und schlimmer,
Und weil der Himmel nicht heiterte sich,
Und mir nicht mehr strahlte ein Hoffnungsschimmer,
So packte denn endlich Verzweiflung mich
Ich stürzte mich über die Donaubrücke
Da fasste ein Schiffer mich schnell beim Genicke
Und zog mich gerettet an's Ufer hin'
Man kann also nicht einmal sterben in Wien.