Sagen und Legenden
Der Teufel im Spiegel
Spiegel
In der Spiegelgasse soll einst ein Spiegelmacher seine Werkstatt gehabt haben. Abends, wenn die Läden geschlossen waren, prüfte er die großen Gläser im Kerzenschein. Eines Nachts, so erzählt man, trat in einem der Spiegel ein anderer Raum hervor: keine Werkbank, kein Zinn, sondern eine feurige Esse – und darin die Silhouette eines Wesens, dessen Auge wie eine Kohle glühte.
Der Meister wich zurück, doch das Bild wich nicht. Wer hineinblickte, sah nicht sich, sondern seine Eitelkeit, seine Gier, seinen Neid. Eine vornehme Dame, die heimlich um Mitternacht kam, erblickte im Glas statt ihrer Frisur einen Kranz aus Goldstücken; ein Jüngling sah sich von Bewunderern umjubelt; ein Geizhals sah Truhen voll Schlüssel und Schlösser. „Schön bist du – wenn du mir gehörst,“ wisperte es aus dem Spiegel.
Als die erste Frühglocke zum Stephansläuten anzog, sprang ein Riss wie ein Blitz über die Fläche; Splitter fielen klirrend zu Boden, und der Schatten im Glas verlosch. Man hob die größte Scherbe auf und setzte sie als Hauszeichen über die Tür. Seitdem riet man den Leuten: „Spiegel zeigen nicht nur Gesichter, sondern auch, wer du sein willst – und wer dich holt.“ [1]
Ort: Spiegelmacher-Werkstatt in der Spiegelgasse; Hauszeichen »Spiegel«
Der Teufel im Spiegel, eine andere Sage
Spiegel
Einst, im Jahre 1510, lebte in Wien ein Mädchen, das berühmt für ihr freizügiges Leben war. Täglich putzte sie sich heraus, trug schöne Kleider, schminkte sich und bewunderte sich dann stundenlang im Spiegel.
Eines Tages erkrankte sie, und schwor ihrem Spiegelbild, sich zu bessern und fortan ein braves Leben zu führen. Kaum war sie genesen, war das Versprechen jedoch vergessen und sie kehrte zu ihrer gewohnten Lebensweise zurück. Als sie wieder einmal vor dem Spiegel stand, und sich aufputzte, erschien plötzlich der Teufel. Er fasste ihr an den Kopf und dreht ihn herum. Sofort wurde das Gesicht des Mädchens schwarz wie Kohle und sie starb einen elenden Tod. [2], [3]
Historischer Hintergrund
Zur Einordnung: Die Spiegelgasse erinnert an Handwerk und Hauszeichen (Spiegelmacher/Glaser). Sagen vom Teufel im Spiegel gehören zu städtischen Moralgeschichten über Eitelkeit, Betrug und Versuchung; das Läuten der Glocken als Rettungsmotiv ist typisch. Das Hauszeichen erklärt auffällige Fassadendetails erzählerisch und bindet sie an eine konkrete Gasse. [4]
Quellen
- ↑ Wiener Sagensammlungen (Stoff »Teufel im Spiegel«; moralisches Motiv der Eitelkeit an der Spiegelgasse).
- ↑ J. Gebhart: Österreichisches Sagenbuch, Lauffer & Stolp, 1862, Wien. S. 32
- ↑ Gustav Guggitz: Die Sagen und Legenden der Stadt Wien, Wien 1952, Nr. 18, S. 31
- ↑ Überblickswerke zur Wiener Sagenkunde (Teufels- & Hauszeichenmotive); Topographien zur Namensgeschichte der Spiegelgasse.