Buchbinder

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Buchbinder in Wien

Um das Jahr 1450 wurde in Mainz der Buchdruck von Johannes Gutenberg entwickelt. In Wien entwickelte sich das Buchdruckergewerbe durch die Niederlassung des Rheinländers Johannes Winterbruger, der sich 1492 in der Kugerstraße ansiedelte und hier ein Offizin gründete, das vorwiegend religiöse Bücher druckte.

Durch die Universität und die Gelehrten, die sich schon im Mittelalter in der Stadt ansiedelten, war das Handwerk des Buchbinders in Wien rasch ein angesehenes.


Historischer Überblick

Buchbinder tauchen in Wien bereits in der frühen Neuzeit in den Quellen auf, zunächst eng verbunden mit der Tätigkeit von Druckern, Setzern und Verlegern. Wo Bücher gedruckt, studiert und gesammelt wurden, brauchte es Handwerker, die Einbände fertigten und Papier dauerhaft nutzbar machten. Besonders im Umfeld der Universität Wien und der Höfe des Adels bildeten sich früh Werkstätten, die nicht nur für den lokalen Bedarf arbeiteten, sondern auch für Kunden aus den habsburgischen Ländern.

Im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts wurde Wien zu einem bedeutenden Zentrum des Buchhandels und der Verlagswirtschaft in der Monarchie. Mit der Ausweitung von Lesepublikum, Schulen und Verwaltungen wuchs auch der Bedarf an gebundenen Büchern, Amtsdrucksorten und Schreibalben. Buchbindereien wurden zu einem vertrauten Bestandteil des Stadtbildes – vom kleinen Handwerksbetrieb im Erdgeschoßhaus bis zu größeren Firmen mit mehreren Gesellen und Lehrlingen.

Im 20. Jahrhundert veränderten Industrialisierung, neue Drucktechniken und der Übergang zur Massenproduktion das Berufsbild nachhaltig. Maschinenbetriebe übernahmen einen Teil der Arbeit, während handwerklich arbeitende Buchbinder ihre Stärken bei hochwertigen Einbänden, Spezialanfertigungen und Restaurierungen ausspielten. Die Stadt Wien blieb dabei ein wichtiger Standort, weil hier große Bibliotheken, Archive und Sammlungen angesiedelt sind, die laufend restauratorische Betreuung benötigen.

Kleine Zeitleiste

Zeit Entwicklung des Buchbinderhandwerks in Wien
Spätmittelalter / Frühe Neuzeit Erste nachweisbare Buchbinder in der Universitäts- und Residenzstadt, enge Verbindung zu Druckern und Schreibern.
18. Jahrhundert Ausdifferenzierung von Werkstätten, Versorgung von Adel, Hofstellen und geistlichen Institutionen, wachsender Bedarf durch Verwaltung und Bildung.
19. Jahrhundert Gewerbereformen, Industrialisierung, Maschinenbuchbinderei, Aufstieg Wiens zum Zentrum des Buch- und Verlagswesens in der Monarchie.
1900–1945 Spannungsfeld aus Tradition und Massenproduktion, wirtschaftliche Krisen, Verfolgung und Enteignung während der NS-Zeit.
Seit 1945 Wiederaufbau, Spezialisierung auf Restaurierung, Kleinserien und künstlerische Buchbinderei, Anpassung an neue Medienlandschaften.

Handwerk, Zunft und Ausbildung

Über lange Zeit war der Zugang zum Buchbinderhandwerk in Wien durch Zunftordnungen und später durch Innungen geregelt. Lehrlinge wurden in mehrjährigen Lehrverhältnissen ausgebildet, lernten zunächst einfache Tätigkeiten wie das Falzen, Heften und Leimen und arbeiteten sich nach und nach zu anspruchsvolleren Aufgaben vor. Der traditionelle Weg führte vom Lehrling über den Gesellen zum Meister, der eine eigene Werkstatt eröffnen durfte.

Mit den Gewerbereformen des 19. Jahrhunderts wandelten sich die ständischen Strukturen zu moderneren Berufsorganisationen. In Wien etablierten sich Interessenvertretungen, die Prüfungen abnahmen, Ausbildungsinhalte festlegten und den Austausch innerhalb des Berufsstandes förderten. Neben der klassischen Lehre gewann der Besuch von Fachklassen und später von berufsbildenden Schulen an Bedeutung. Besonders im Bereich der Buch- und Papierrestaurierung entwickelten sich in Wien spezialisierte Ausbildungspfade, die eng mit Bibliotheken und Archiven kooperieren.

Auch heute erfolgt der Einstieg in das Berufsfeld über eine handwerkliche Ausbildung, ergänzt durch Kurse zu Materialkunde, Restaurierungsethik und neuen Technologien. Die Verbindung von traditioneller Technik und modernem Wissen um Papieralterung, Schadensbilder und konservatorische Maßnahmen ist zu einem wesentlichen Markenzeichen des Berufs geworden.

Buchbinder im Wiener Stadtbild

Buchbindereien gehörten in vielen Wiener Grätzeln zum Alltag. Werkstätten fanden sich im Umfeld von Universitäten und Schulen, entlang großer Geschäftsstraßen und in Wohnbezirken, in denen viele Beamte, Lehrkräfte und Studierende lebten. In den Auslagen lagen Schreibalben, Kassenbücher, Adressverzeichnisse, Fotoalben und später auch Kalender und Papeteriewaren.

Manche Betriebe erhielten den Titel eines kaiserlichen oder königlichen Hoflieferanten und gestalteten besonders repräsentative Einbände für Hofstellen, Ministerien oder adelige Bibliotheken. Andere waren auf alltägliche Gebrauchsware spezialisiert und arbeiteten eng mit lokalen Buchhandlungen zusammen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschwanden viele kleine Geschäfte aus dem Straßenbild, doch einzelne Traditionsbetriebe und neue Ateliers führen die handwerkliche Tradition weiter.

Auch in Wohnhäusern, Palais und Amtsgebäuden haben Buchbinder zeitweise Werkstätten oder Lagerräume betrieben. In historischen Adressbüchern und Gewerberegistern lassen sich diese Spuren oft noch nachzeichnen.

Buchbinder, Bibliotheken und Restaurierung

Wien ist eine Stadt der Bibliotheken: von der Universitäts- und Nationalbibliothek über Fachbibliotheken bis hin zu Kloster- und Privatbibliotheken. Für die Buchbinder bedeutete dies seit jeher ein breites Betätigungsfeld. Neben der Neuanfertigung von Einbänden spielte die Reparatur und Restaurierung im Auftrag von Bibliotheken eine große Rolle.

Ab dem späten 19. Jahrhundert setzte sich stärker das Bewusstsein durch, dass historische Einbände und Papierbestände nicht einfach ersetzt, sondern fachgerecht konserviert werden sollten. In Wien wurden Werkstätten aufgebaut, die sich auf Restaurierung und Konservierung von Handschriften, Drucken und Archivalien spezialisierten. Hier arbeiteten Buchbinder, Restaurator*innen und Konservator*innen eng mit Historiker*innen, Bibliothekar*innen und Naturwissenschaftler*innen zusammen.

Heute sind in den Restaurierungsabteilungen großer Wiener Institutionen spezialisierte Fachkräfte tätig, die traditionelle Handwerkstechniken mit modernen restauratorischen Methoden verbinden. Die Entwicklung dieses Bereichs spiegelt den Wandel vom reinen Gebrauchsgegenstand Buch hin zum schützenswerten Kulturgut wider.

Brüche und Kontinuitäten im 20. Jahrhundert

Die politischen Umbrüche des 20. Jahrhunderts hinterließen auch in der Welt der Wiener Buchbinder deutliche Spuren. Der Erste Weltkrieg, der Zerfall der Monarchie und die wirtschaftlichen Krisen belasteten Betriebe und Kundschaft. In der Zwischenkriegszeit kam es zu Neugründungen, Zusammenschlüssen und Geschäftsaufgaben, während zugleich neue Formen von Druckwerken, Illustrierten und Werbematerialien entstanden, die gebunden werden mussten.

Die Zeit des Nationalsozialismus brachte Verfolgung und Enteignung auch für jüdische Buchbinder und Verleger mit sich. Betriebe wurden arisiert, Eigentümer zur Emigration gezwungen oder deportiert. Nach 1945 mussten nicht nur zerstörte Gebäude und Maschinen ersetzt, sondern auch Unternehmensstrukturen neu aufgebaut werden. In manchen Fällen gelang die Rückkehr enteigneter Besitzer oder ihrer Familien, in anderen fielen Betriebe dauerhaft aus dem Stadtbild.

In der Nachkriegszeit prägten Wiederaufbau, Schulbuchproduktion und der wachsende Markt für Ratgeber, Taschenbücher und Zeitschriften die Auftragslage. Viele Werkstätten kombinierten klassische Arbeiten wie das Binden von Dissertationen oder Amtsbüchern mit neuen Dienstleistungen für Firmen, Vereine und Privatkundschaft. Zugleich wurden Buchbindereien mit den Herausforderungen des sich wandelnden Medienkonsums konfrontiert, der zunehmend auch digitale Angebote umfasste.

Buchbinder heute: Nische, Kunst und Service

Im heutigen Wien arbeiten Buchbinder*innen in einer vielfältigen Landschaft. Klassische Buchbindereien bieten nach wie vor das Binden von Diplomarbeiten, Chroniken, Vereinsunterlagen und Fotoalben an. Restaurierungsateliers kümmern sich um geschädigte Altbestände in Bibliotheken, Archiven und Privatsammlungen. Daneben gibt es eine kleine, aber lebendige Szene der künstlerischen Buchbinderei, die mit Materialien, Formen und Einbandtechniken experimentiert.

Viele Betriebe haben sich auf individuelle Beratung, kleine Auflagen und maßgeschneiderte Lösungen spezialisiert. Sie binden Hochzeitsalben, Gästebücher, Künstlerbücher und Unikate, die deutlich über das hinausgehen, was die industrielle Massenproduktion leisten kann. Kursangebote, Workshops und Kooperationen mit Kunstuniversitäten tragen dazu bei, dass Wissen und Fertigkeiten an neue Generationen weitergegeben werden.

Gleichzeitig sind Buchbinder mit Fragen der Sichtbarkeit und wirtschaftlichen Tragfähigkeit konfrontiert. Manche Werkstätten nutzen Online-Präsenzen und Kooperationen mit Buchhandlungen, Fotograf*innen oder Designer*innen, um ihre Angebote zu erweitern. Wien bleibt damit ein Ort, an dem sich Tradition und Innovation im Bereich Buch und Einband auf besondere Weise begegnen.

Der Franzband

Der Franzband
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Buchdruck im 15. Jahrhundert

Auf König Franz I. (Frankreich) ist zurückzuführen, dass ein Buch ganz in Leder gebunden wurde. Eine Bindung dieser Art wird daher "Franzband" genannt. Die billigere Version, nämlich nur den Rücken und die Ecken mit Leder bezogen, nennt sich "Halbfranz". Dazu gibt es aus dem Jahr 1846 eine kleine Anekdote:

"Ein gewisser Herr N. kaufte sich ein Buch, weil er gehört hatte, dass selbes keinem Stande fehlen sollte. Er schickte es zum Buchbinder, um es einbinden zu lassen. Der Buchbinder wusste nicht, wie er es einbinden sollte, fragte deshalb schriftlich den N., ob er es Halbfranz oder Franz eingebunden wolle. Herr N. verstand das nicht, und schrieb daher folgende Antwort: "Binder Er mir's nur halb Franz und halb George ein, denn so heiße ich."[1]


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Quellen

  1. J. Hofmann: Alt und Neuer Crackauer, auf Wien berechneter und verbesserter Schreib-Kalender auf das Jahr nach der Geburt Jesu Christi 1846, Band 92, Ueberreuter, Wien, 1846, S. 40