1683: Zweite Türkenbelagerung
Vorgeschichte: Krieg an der Donau
Seit Jahrzehnten waren die Habsburgermonarchie und das Osmanische Reich in einem zermürbenden Grenzkrieg um Ungarn und den Donauraum gefangen. In den frühen 1680er Jahren verschärfte sich die Lage, weil osmanische Truppen und ihre Verbündeten unter dem ungarischen Rebellen Imre Thököly große Teile Oberungarns kontrollierten. Für Wien bedeutete das, dass die Front näher rückte und die Stadt schon im Frühjahr 1683 mit einer neuen Offensivkampagne rechnen musste.
Als Großwesir Kara Mustafa Pascha den Feldzug gegen Österreich begann, war das strategische Ziel klar: Wien sollte fallen, um den Weg nach Mitteleuropa zu öffnen und der Habsburgerherrschaft den entscheidenden Schlag zu versetzen. Kaiser Leopold I. ließ die Stadt verstärken, verließ aber kurz vor Beginn der Belagerung Wien und zog mit Hof und Regierung nach Westen. Die Verteidigung blieb damit in den Händen der städtischen Führung und der kaiserlichen Garnison.
Beginn der Belagerung (14. Juli 1683)
Am 14. Juli 1683 erreichten die osmanischen Truppen Wien und schlossen die Stadt von Süden, Westen und Norden ein. Das Belagerungsheer war gewaltig und umfasste neben Soldaten des Osmanischen Reiches auch Verbündete aus Krimtataren, Walachei, Moldau und Siebenbürgen. Kara Mustafa errichtete seine Befehlszentrale vor der Stadt und ließ Schützengräben ausheben sowie Geschütze in Stellung bringen. Schon in den ersten Tagen forderte er die Kapitulation Wiens. In der Stadt wurde diese Forderung zurückgewiesen.
Die Verteidigung leitete Graf Ernst Rüdiger von Starhemberg, unterstützt von Festungsbaumeistern wie Georg Rimpler. Auch Bürgermeister Johann Andreas von Liebenberg spielte eine zentrale Rolle, weil er die Versorgung, Ordnung und Moral innerhalb der Mauern sichern musste. Die militärischen Kräfte Wiens waren im Vergleich zu den Belagerern klein, doch die Befestigungen waren in den Jahren zuvor modernisiert worden und boten eine Chance auf Widerstand.
Alltag hinter den Mauern
Für die Bevölkerung begann eine Zeit der Entbehrung. Bald wurden Lebensmittel knapp, Trinkwasser und Feuerholz mussten streng rationiert werden, und die Stadt war von Fluchtbewegungen aus dem Umland überfüllt. Krankheiten breiteten sich aus, während die Artillerie täglich auf die Mauern, Tore und Bastionen zielte. Viele Häuser wurden beschädigt oder brannten aus; immer wieder mussten zivile Arbeiterinnen und Arbeiter unter Beschuss Schanzarbeiten übernehmen und Trümmer räumen.
Trotz der Not blieb der Zusammenhalt in der Stadt bemerkenswert. Geistliche, Zünfte und Bürgerorganisationen halfen bei der Versorgung, Kranke wurden in provisorischen Lazaretten gepflegt, und der Rat versuchte, Panik zu verhindern. Der Belagerungszustand machte Wien zu einer Stadt, in der jede Nacht und jeder Morgen den Unterschied zwischen Durchhalten und Zusammenbruch bedeuten konnte.
Der Kampf um die Bastionen
Die Osmanen setzten nicht nur auf Artillerie, sondern vor allem auf Minenkrieg. Ihre Mineure gruben Stollen unter die Bastionen, legten Sprengladungen und versuchten, die Wälle zum Einsturz zu bringen. Besonders heftig umkämpft waren die Bereiche im Süden und Südwesten, wo die Festungswerke am stärksten belastet wurden. In wiederholten Sturmangriffen versuchten die Belagerer, Breschen zu erzwingen; die Verteidiger antworteten mit Gegenminen, Ausfällen und improvisierten Reparaturen.
Im August und Anfang September verschärfte sich der Druck. Mehrmals standen die Osmanen kurz davor, entscheidende Teile der Befestigung zu durchbrechen. Die Wiener Garnison war erschöpft, die Munition knapp, und die Verluste hoch. Dennoch gelang es Starhemberg, die Linien zu halten, bis Hilfe heranrückte.
Das Entsatzheer und die Schlacht am Kahlenberg
Parallel zur Belagerung formierte sich ein Entsatzheer aus Truppen des Heiligen Römischen Reiches und Polen-Litauens. Die kaiserlichen Kräfte standen unter Herzog Karl V. von Lothringen, hinzu kamen zahlreiche deutsche Kontingente sowie die polnische Armee unter König Johann III. Sobieski. Anfang September überschritten diese Verbände die Donau bei Tulln und näherten sich über den Wienerwald.
Am 12. September 1683 kam es zur Entscheidungsschlacht am Kahlenberg. Von den Höhen oberhalb der Stadt griff das Entsatzheer die osmanischen Stellungen an. Nach stundenlangem Kampf brach am späten Nachmittag der große Kavallerieangriff, den Sobieski anführte, die Front der Belagerer. Kara Mustafa musste den Rückzug antreten. In Wien selbst stießen die Verteidiger aus den Mauern vor und fielen in die osmanischen Lager ein. Damit war die Belagerung beendet, und die Stadt war gerettet.
Folgen und Bedeutung
Die Zweite Türkenbelagerung war für Wien ein traumatisches Ereignis, aber auch ein Wendepunkt. Militärisch bedeutete der Sieg das Ende der osmanischen Expansion nach Mitteleuropa. Politisch führte er zur Bildung einer Heiligen Liga und zum Großen Türkenkrieg (1683–1699), in dessen Verlauf die Habsburger weite Teile Ungarns zurückeroberten.
Für Wien selbst begann nach 1683 ein intensiver Wiederaufbau. Befestigungen wurden verbessert, beschädigte Stadtviertel erneuert, und zahlreiche Kirchen und Palais erhielten barocke Neubauten. Gleichzeitig verankerte sich die Erinnerung an die Belagerung tief im Selbstbild der Stadt. Sie wurde Teil einer Erzählung vom Bollwerk gegen den Osten, die noch lange in Kunst, Predigten und Festkultur nachwirkte.
Spuren der Belagerung im Stadtbild
Bis heute erinnern viele Orte und Namen an 1683. Der Türkenschanzpark und die Türkenschanzstraße verweisen auf Gefechte im Nordwesten der Stadt. Eingemauerte Türkenkugeln, etwa in der Innenstadt, wurden zu sichtbaren Erinnerungsstücken. Auch Legenden und Bräuche entstanden im Nachhall der Ereignisse, darunter Erzählungen über erbeutete Fahnen, Kanonen und die Umdeutung osmanischer Symbole in Wiener Stadtkultur.
Damit bleibt die Zweite Türkenbelagerung nicht nur ein historisches Kapitel, sondern ein Ereignis, das im Stadtgedächtnis und im überlieferten Wiener Alltag bis heute Spuren hinterlassen hat.
- Die Zweite Türkenbelagerung 1683
- Belagerung Wien 1683.jpg
Zeitgenössische Darstellung der belagerten Stadt
- Starhemberg 1683.jpg
Ernst Rüdiger von Starhemberg, Stadtkommandant der Verteidigung
- Schlacht am Kahlenberg 1683.jpg
Schlacht am Kahlenberg am 12. September 1683
Video zur Zweiten Türkenbelagerung
Quelle: YouTube • Direktlink
Abbruchsteine
Im Zuge der Belagerung der Stadt wurde rasch festgestellt, dass die Stadtummauerung nicht ideal zur Verteidigung errichtet worden war. Unter Anleitung von Festungsbaumeister Georg Rimpler wurden nun rasch Verbesserungsarbeiten vorgenommen.
In der Stadt wurden 1683 sogenannte "Abbruchsteine" oder auch "Abbruch-March-Steine" verlegt. Sie markierten die Grenze, bis zu der ein Bauverbot bestand, das zur Sicherung der Stadt diente (Fortifikationsgrenze). An solchen Markierungen wurden Gebäude abgebrochen bzw. durfte die Fläche nicht neu bebaut werden. [1]
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Quellen
- ↑ Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien. Bd. 1., Kremayr & Scheriau, Wien 1992, S. 1
