1477: Grundstein der Habsburger Macht
Europa im Umbruch: Tod Karls des Kühnen und die habsburgisch-burgundische Heirat
Karl der Kühne, Herzog von Burgund, war einer der mächtigsten Fürsten seiner Zeit. Sein Ziel war es, zwischen Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich ein zusammenhängendes, eigenständiges Großreich zu schaffen. Dieses Projekt scheiterte endgültig, als Karl 1477 in der Nähe von Nancy fiel. Seine einzige Tochter, Maria von Burgund, wurde zur begehrten Erbin eines weit verstreuten, aber außerordentlich wohlhabenden Territoriums, das reiche Handelsstädte wie Gent, Brügge und Antwerpen umfasste.
In diesem Moment traten die Habsburger auf den Plan: Maximilian, Sohn Kaiser Friedrichs III., heiratete im März 1477 Maria von Burgund. Mit dieser dynastischen Verbindung sicherten sich die Habsburger nicht nur enorme finanzielle Ressourcen, sondern auch politischen Einfluss in Westeuropa. Das später sprichwörtliche Motto Bella gerant alii, tu felix Austria nube (Die Kriege mögen andere führen, du, glückliches Österreich, heirate) bringt die Strategie dieser Heiratspolitik auf den Punkt.
Für Wien bedeutete dies, dass die Stadt – damals noch am Rand der europäischen Politik gelegen – in die Umlaufbahn eines entstehenden Großreichs geriet, das sich von den burgundischen Niederlanden bis in die Alpen und an die Donau erstreckte. Noch war Wien nicht die glanzvolle Weltstadt der Barockzeit, aber die Grundlagen für diese Entwicklung wurden nun gelegt.
Wien zwischen Burgund und Osmanen
Während sich im Westen mit Burgund neue Chancen eröffneten, blieb die Lage im Südosten des Reiches angespannt. Die Expansion des Osmanischen Reiches setzte die Habsburgerländer unter dauerhaften Druck. Auch um 1477 kam es zu Vorstößen und Spannungen an der südosteuropäischen Grenze, die das Bewusstsein prägten, dass Wien gewissermaßen im Vorfeld einer gefährdeten Grenzregion lag.
Diese Situation trug dazu bei, das Bild der Stadt als Bollwerk gegen den Osten zu formen – ein Bild, das in späteren Jahrhunderten, besonders bei den Türkenbelagerungen von 1529 und 1683, immer wieder heraufbeschworen wurde. Bereits in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts war den Zeitgenossen bewusst, dass Wien nicht nur Residenz, sondern auch militärischer Schlüsselpunkt an einer bedrohten Reichsgrenze war.
Wien als Residenzstadt Friedrichs III.
Unter Kaiser Friedrich III. entwickelte sich Wien schrittweise zur kaiserlichen Residenzstadt. Der Hof hielt sich häufig in der Stadt auf, doch blieb Wien im Vergleich zu italienischen Metropolen oder den reichen Städten der Niederlande wirtschaftlich und kulturell eher bescheiden. Die Stadt war Verwaltungszentrum und Sitz kaiserlicher Autorität, aber noch keine schillernde Großstadt.
Trotzdem hatte Wien wichtige Funktionen: Hier trafen sich Gesandte, hier wurden Reichstage abgehalten, hier wurden Privilegien verliehen und politische Entscheidungen vorbereitet. Die Anwesenheit des Hofes brachte Handwerkern, Wirten und Lieferanten Aufträge und sorgte dafür, dass Wien im inneren Gefüge des Reiches an Gewicht gewann – auch wenn die eigentliche wirtschaftliche Dynamik eher anderswo zu finden war.
Die Universität Wien als Zentrum humanistischer Bildung
Ein deutliches Zeichen des geistigen Anspruchs der Stadt war die 1365 gegründete Universität Wien. Im späten 15. Jahrhundert, unter Friedrich III. und Maximilian, entwickelte sie sich zu einem der bedeutenden Bildungszentren im Reich. Gelehrte, Studenten und Kleriker aus weiten Teilen Mitteleuropas kamen hierher, um Theologie, Recht, Medizin und die freien Künste zu studieren.
Mit dem Aufkommen des Humanismus erreichten auch neue Ideen die Stadt. Antike Autoren, philologische Methoden und ein verändertes Geschichts- und Menschenbild fanden langsam ihren Weg in Vorlesungen und Disputationen. Noch war dies eine Entwicklung im Ansatz, doch bereitete sie den Boden für jene kulturelle Blüte, die Wien im 16. Jahrhundert stärker prägen sollte.
Stadtbild und Alltag in Wien um 1477
Das Wien der Jahre um 1477 war eine befestigte Stadt. Massive Mauern, Gräben und Basteien umschlossen den mittelalterlichen Kern, der sich um den Stephansdom und die großen Markt- und Platzanlagen gruppierte. Stadttore regelten den Zugang, und außerhalb der Mauern lagen Vorstädte, Äcker, Weingärten und Wege zu Donau und Wienerwald.
Die Einwohnerzahl wird auf etwa 30.000 Menschen geschätzt – für spätmittelalterliche Verhältnisse eine beachtliche, aber nicht außergewöhnliche Größe. Das Stadtbild war von engen Gassen, Bürgerhäusern, Kirchen, Klöstern und wenigen repräsentativen Profanbauten geprägt. Noch dominierte die Gotik, doch erste, zarte Renaissance-Einflüsse, vor allem aus Italien, begannen über Handelskontakte, Reisende und Gelehrte einzusickern.
Der Alltag war von Zünften, Märkten und kirchlichen Festtagen bestimmt. Handel, Handwerk, Weinbau und die Versorgung des Hofes bildeten zentrale wirtschaftliche Säulen. Die soziale Spanne reichte von vermögenden Patrizierfamilien und Hofbeamten bis zu Tagelöhnern, Dienstboten und Armen, für die kirchliche und städtische Fürsorgeeinrichtungen eine wichtige Rolle spielten.
Matthias Corvinus und der Kampf um Wien
In diesem vielschichtigen Umfeld trat eine weitere zentrale Figur der Zeit auf den Plan: Matthias Corvinus, König von Ungarn. Er regierte von 1458 bis 1490 und vereinte in seiner Person eine beeindruckende Machtfülle: Er war König von Ungarn und Kroatien, erhob Ansprüche auf Böhmen und trat später auch als selbsternannter Herzog von Österreich auf.
Seit den 1460er Jahren stand Matthias Corvinus in erbitterter Fehde mit Kaiser Friedrich III. Die Auseinandersetzungen drehten sich um Gebietsansprüche in Niederösterreich, Böhmen und den angrenzenden Regionen. Immer wieder führte Matthias Krieg gegen die Habsburger und erwies sich als militärisch äußerst durchsetzungsfähig.
Auch im Jahr 1477 kam es zu erneuten Kämpfen und Spannungen zwischen Matthias und Friedrich III. Während Maximilian durch seine Heirat mit Maria von Burgund außenpolitisch gestärkt wurde, suchte Matthias seinen Einfluss nach Westen hin auszuweiten. Wien lag damit buchstäblich im Spannungsfeld: Auf der einen Seite der römisch-deutsche Kaiser und die hoffnungsvolle habsburgisch-burgundische Verbindung, auf der anderen Seite der expansive und militärisch erfolgreiche ungarische König.
In den Folgejahren verschärfte sich dieser Konflikt. 1485 gelang es Matthias Corvinus schließlich, Wien zu erobern. Die Stadt wurde zu seiner Residenz und damit faktisch zur Hauptstadt seines Herrschaftsbereichs. Bis zu seinem Tod 1490 blieb Wien unter ungarischer Kontrolle – eine Episode, die in der Stadtgeschichte oft übersehen wird, aber entscheidend dazu beitrug, Wien zwischen habsburgischer Dynastie und ungarischer Machtpolitik zu verorten.
Wien im Spiegel der Zeit um 1477
Aus der Perspektive Wiens erscheint das Jahr 1477 weniger als ein einzelner Wendepunkt vor Ort, sondern als Knotenpunkt größerer Entwicklungen: Die habsburgisch-burgundische Heirat lenkte die Habsburgerdynastie auf einen Kurs, der sie zu einer der mächtigsten Familien Europas machen sollte. Die osmanische Bedrohung im Südosten, der Aufstieg Matthias Corvinus im Osten und die wachsende Rolle Wiens als Residenz- und Universitätsstadt fügten sich zu einem Bild der Stadt als politisch bedeutsamem, strategisch exponiertem, aber noch nicht glanzvollen Zentrum.
Im Rückblick zeigt sich, dass die Entscheidungen und Ereignisse der Jahre um 1477 die Grundlage für jene Entwicklungen legten, die Wien später zu einer der großen Hauptstädte Europas werden ließen – zur Schaltstelle eines Reiches, dessen Wurzeln in dynastischer Heiratspolitik, militärischen Konflikten und kulturellem Wandel zu suchen sind.
- Wien und sein Umfeld im späten 15. Jahrhundert
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