1244: Neues Stadtrecht und Judenschutzbrief
Mitte des 13. Jahrhunderts erhielt Wien ein Stadtrecht, das den weiteren Weg der Stadtentwicklung über Jahrhunderte prägen sollte. Herzog Friedrich II., der letzte Babenberger, verlieh Wien 1244 eine neue Stadtfreiheit, die Handel, Rechtsprechung und innere Ordnung der Stadt neu regelte. In diesem Zusammenhang wurde auch ein eigener Schutzbrief für die in Wien lebenden Juden ausgestellt, der ihre rechtliche Stellung definierte und sie unter den Schutz des Landesherrn stellte.
Wien im 13. Jahrhundert: Aufstrebende Handelsstadt an der Donau
Im 13. Jahrhundert war Wien bereits eine wichtige Drehscheibe zwischen Ost und West. Kaufleute aus Bayern, Böhmen, Ungarn, Italien und dem östlichen Mitteleuropa nutzten die Stadt als Umschlagplatz für Wein, Salz, Getreide, Vieh und Fernhandelswaren. Die Nähe zu bedeutenden Verkehrswegen entlang der Donau und durch die Alpen machte Wien attraktiv, gleichzeitig war die rechtliche Stellung der Bürger und Kaufleute noch stark von älteren, weniger klar formulierten Rechten abhängig.
Herzog Friedrich II., oft als energischer und konfliktreicher Landesherr beschrieben, wollte seine Residenz zu einem leistungsfähigen Wirtschafts- und Verwaltungszentrum ausbauen. Dazu gehörte auch, den Bürgern der Stadt ein modernes, schriftlich fixiertes Stadtrecht zu geben, das sowohl Sicherheit als auch Pflichten klar umschrieb. Das Privileg von 1244 war damit ein Instrument, die Bindung der Stadt an den Landesherrn zu stärken und gleichzeitig ihre Attraktivität für Handel und Zuwanderung zu erhöhen.
Das neue Stadtrecht von 1244
Das Wiener Stadtrecht von 1244 regelte eine Reihe von Bereichen, die für das tägliche Leben in der Stadt entscheidend waren. Es legte fest, wie der Stadtrat besetzt wurde, wie der Richter zu wählen war und welche Kompetenzen die städtischen Organe in Zivil- und Strafsachen hatten. Für Kaufleute waren Bestimmungen zu Marktordnungen, Zöllen, Mauten und zur Beitreibung von Schulden besonders wichtig.
Ein Kernanliegen des neuen Rechts war Rechtssicherheit: Bürger sollten wissen, unter welchen Bedingungen sie Eigentum erwerben, vererben oder verlieren konnten, welche Strafen auf bestimmte Vergehen standen und wie Streitigkeiten vor Gericht zu klären waren. Eine wachsende Stadt brauchte verlässliche Regeln, um innere Konflikte zu begrenzen und wirtschaftliche Tätigkeit zu ermöglichen. Das Stadtrecht von 1244 machte Wien in dieser Hinsicht konkurrenzfähig mit anderen aufstrebenden Städten des Reiches.
Zugleich band Friedrich II. die Stadt enger an seine Herrschaft. Bestimmte Abgaben und Leistungen an den Herzog wurden festgeschrieben, und in strittigen Fällen blieb das letzte Wort beim Landesherrn. Stadtfreiheit bedeutete also nicht vollständige Unabhängigkeit, sondern eine neu austarierte Balance zwischen Selbstverwaltung und landesfürstlicher Oberhoheit.
Der Judenschutzbrief: Schutz und Sonderstellung
In engem Zusammenhang mit dem Stadtrecht stand ein eigener Schutzbrief für die jüdische Bevölkerung Wiens. Jüdische Gemeinden spielten im Wirtschaftsleben vieler mittelalterlicher Städte eine wichtige Rolle, etwa im Handel, im Geldverleih und bei der Finanzierung landesherrlicher Vorhaben. Gleichzeitig waren sie immer wieder Ziel von Anfeindungen, Vorurteilen und Übergriffen.
Der Schutzbrief Friedrichs II. stellte die in Wien lebenden Juden ausdrücklich unter den Schutz des Herzogs. Er sicherte ihnen das Recht auf Aufenthalt, auf Eigentum, auf Ausübung bestimmter Berufe sowie auf eigene religiöse Praxis und eine gewisse Form innerer Selbstverwaltung zu. Im Gegenzug wurden spezielle Steuern und Abgaben festgelegt, die direkt an den Landesherrn flossen. Die jüdische Gemeinde wurde damit zu einem besonderen Schutzobjekt und zugleich zu einer wichtigen Finanzquelle der herzoglichen Herrschaft.
Der Schutzbrief sollte Übergriffe durch einzelne Bürger oder Gruppen verhindern, indem er klarstellte, dass Angriffe auf Juden auch als Angriff auf die Rechte des Herzogs zu verstehen seien. Zugleich machte die besondere rechtliche Stellung die Gemeinde abhängig vom Wohlwollen des Landesherrn. Schutz und Verletzbarkeit lagen dicht beieinander: Wo der Herrscher seinen Schutz aufrechterhielt, bot das Privileg einen gewissen Rahmen von Sicherheit; wo dieser Schutz geschwächt wurde, entfiel die wichtigste Absicherung.
Zusammenleben in der Stadtgesellschaft
Für den Alltag in Wien bedeuteten Stadtrecht und Judenschutzbrief, dass unterschiedliche Gruppen – christliche Bürger, Geistliche, Adelige im Umfeld des Hofes und die jüdische Gemeinde – in einem rechtlich geregelten, aber sozial nicht spannungsfreien Umfeld zusammenlebten. Handelskontakte, Kreditbeziehungen und Nachbarschaft schufen Berührungspunkte, während religiöse Unterschiede und Vorurteile immer wieder Distanz erzeugten.
Das Stadtrecht legte fest, wie Streitfälle zu behandeln waren, in denen christliche Bürger und jüdische Einwohner einander gegenüberstanden. Zeugenaussagen, Schuldforderungen und Besitzfragen wurden genauer geregelt, um willkürliche Benachteiligungen zu begrenzen. Dennoch blieb die soziale Wirklichkeit komplexer und konfliktreicher, als es ein Privilegentext festhalten konnte.
Bedeutung des Jahres 1244 für die Entwicklung Wiens
Rückblickend markiert das Jahr 1244 einen wichtigen Schritt in der Verfassungsgeschichte Wiens. Das neue Stadtrecht gab der Stadt ein klareres rechtliches Fundament und stärkte ihre Stellung als Handels- und Verwaltungszentrum. Der Schutzbrief für die jüdische Gemeinde dokumentiert gleichzeitig, dass Wien schon früh eine Stadt mit religiöser und sozialer Vielfalt war – und dass diese Vielfalt rechtliche Rahmenbedingungen brauchte, um bestehen zu können.
Die in diesem Jahr geschaffenen Regelungen bildeten eine Grundlage, auf der spätere Entwicklungen aufbauen konnten. Viele Bestimmungen wurden in den folgenden Jahrhunderten angepasst, erweitert oder durch neue Rechte ersetzt, doch die Idee einer schriftlich fixierten Stadtfreiheit und eines besonderen rechtlichen Schutzes für Minderheiten blieb ein wiederkehrendes Thema der Wiener Geschichte.
- Wien um die Mitte des 13. Jahrhunderts
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