Quelltext der Seite Genesis der Stadt von Eduard Bauernfeld

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<div style="letter-spacing: 2px; text-transform: uppercase">Gedichte</div>
<div class="display-6" style="text-transform: uppercase; letter-spacing: 1px"">Eduard Bauernfeld: Der Riesenfinger </div>
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Sehr anschaulich beschreibt Eduard Bauernfeld Wien von seiner Entstehung bis zu seiner Zeit. Er schreibt von Judenverfolgung, Türkenbelagerung und den Habsburgern, aber auch Plätze der Innenstadt werden erwähnt.<br />
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Das alte Wien, behaupten keck<br />
Gewisse Geschichtsverdreher,<br />
Erbauten zu ihrem Handelszweck<br />
Phönizische Hebräer.<br />
<br />
Die herrschende Juden-Dynastie<br />
Fing an mit Schmuel dem Großen,<br />
Der nach der Krönung auf Pfänder lieh<br />
Und schachert' mit alten Hosen.<br />
<br />
Bei Wien ward aufgefunden sein Grab<br />
Mit andern jüdischen Recken,<br />
Vermutlich des großen Königs Stab —<br />
Gott möge sie nimmer erwecken!<br />
<br />
Erzähl's nur meinen Lesern zum Spaß,<br />
Und nicht zu ernster Erwägung;<br />
In Hormayr's Schriften findet man das,<br />
Dabei auch die Widerlegung.<br />
<br />
Doch angenommen, es wäre wahr,<br />
Was so gefabelt die Alten,<br />
Es hätten die Juden geherrscht, sich gar<br />
Als Herrscher bis jetzt erhalten —<br />
<br />
Von Juden würd' es wimmeln jetzt<br />
In allen "Fakeltäten",<br />
Und alle Stellen wären besetzt<br />
Mit jüdischen Hofräten.<br />
<br />
Es wär' ein Hebräer Referent<br />
In jedem Viertel und Kreise,<br />
Vielleicht fungierte als Präsident<br />
Im Reichsrat "Nathan der Weise"; —<br />
<br />
Doch säß' wohl der, längst fortgedrängt,<br />
Im "wohlverdienten" Ruhstand!<br />
Ein Jud' hätt' über uns verhängt<br />
Auch den Belagerungszustand; —<br />
<br />
Und keine Kirchen-Zeitung gäb's<br />
Und keine Severiner:<br />
Es würden gerufen keine "Hepp's" —<br />
Nicht litten's die Rabbiner.<br />
<br />
Wir Christen wären unterdrückt<br />
Und unterjocht geblieben,<br />
Doch hätten wir uns d'rein geschickt,<br />
Und später Handel getrieben.<br />
<br />
Von reichen Christen wären da<br />
Erfüllt Comtoire und Buden,<br />
Das Geld im Sack, auslachten wir ja<br />
Die dummen und armen Juden.<br />
<br />
Wir wären die Herren mit unserm Geld,<br />
Mit unserm Tauschen und Tauscheln!<br />
Was kümmert's uns in aller Welt,<br />
Daß Hofton jetzt — das Mauscheln!<br />
<br />
Daß "Eitel Itzig" stolz behängt<br />
Mit dem Kammerherren-Schlüssel,<br />
Daß als Hof-Leib-Vorschneider sich drängt<br />
Der "Löbeles" mit der Schüssel!<br />
<br />
Doch ist das leider aus alter Zeit<br />
Nur Fabel der Chronisten;<br />
Reich sind die Juden und gescheit,<br />
Und wir sind — arme Christen.<br />
<br />
Des jüdischen Königs Schmuel Grab<br />
Ward zwar bei Wien gefunden,<br />
Doch stammen wir Wiener von Römern ab,<br />
Sind noch mit Rom verbunden.<br />
<br />
Vindobona nannten die Herren auf "us"<br />
Die Stadt am großen Ister;<br />
Die "Wien" war damals auch noch ein Fluß,<br />
Jetzt ist es zweifelhaft: fließt er?<br />
<br />
Nur wenn über dies Wald-Bächlein mild<br />
Der Gemeind'-Rat baut die Brücke,<br />
Da gärt es zornig und braust und schwillt,<br />
Und reißt den Bau in Stücke. —<br />
<br />
Zur Zeit des heiligen Severin<br />
Hieß unsre Stadt Fabiana;<br />
Spötter verdrehten's in ihrem Sinn,<br />
Und nannten sie: Fadiana.<br />
<br />
Damals gab's noch kein Concordat<br />
In jenen wilden Zeiten;<br />
Erst über "Grinzing" und "Heiligenstadt"<br />
Tät Christentum sich verbreiten.<br />
<br />
Die Türken umlagerten Wien einst dick,<br />
Die Gläubigen an das Fatum —<br />
Da ward in der Stadt verspeist "horse-steak,"<br />
Lang ante Castellium natum.<br />
<br />
Dem Starhemberg dankt man's noch jetzt,<br />
Daß Wien nicht gebebt noch gewankt hat;<br />
Die tapferen Polen haben's entsetzt —<br />
Denen man auch später gedankt hat! —<br />
<br />
Wien liegt bekanntlich am "Schanzel-Strand",<br />
Ist spärlich mit Wasser gesegnet;<br />
Dort stecken die Schiffe tief im Sand,<br />
Und warten, bis es regnet.<br />
<br />
An diesen stagnierenden Donau-Kanal<br />
Un-Summen haben verwendet<br />
Die Wasserbau-Commissionen — zumal<br />
D'ran ihren Geist verschwendet.<br />
<br />
Eng sind Wien's Gassen, Haus an Haus,<br />
D'rin ist nicht länger zu bleiben;<br />
D'rum rückt zur großen Donau hinaus,<br />
Dann könnt Ihr Handel treiben.<br />
<br />
Der Rat ist gut, auch ausführbar,<br />
So däucht uns, allerwegen;<br />
Doch hör' ich, es stehen Bedenken — und zwar<br />
Politische entgegen.<br />
<br />
Das Verschieben selber kein Hindernis; sei —<br />
So hieß es — d'rin habe man Übung;<br />
Doch rückten zu fern wir von der Türkei<br />
Durch diese Stadt-Verschiebung!<br />
<br />
Auch kämen wir Deutschland gar zu nah' —<br />
Zwar von der katholischen Seite,<br />
Doch bei dem Eisen-Netz geht's ja<br />
Gleich in's protestantische Weite.<br />
<br />
Es ist ein alt-bekannter Satz:<br />
Wer lange feilscht, der kauft nicht!<br />
Es blieb auch Wien auf dem alten Platz,<br />
Und das Wasser am Schanzel lauft nicht.<br />
<br />
Sonst lebt man recht gemütlich hier,<br />
Besonders seit den Reformen;<br />
Wir haben viel Aktien und Papier,<br />
Die Beamten tragen Un'formen.<br />
<br />
Wien selber mit seinem Stephansturm<br />
Ist so ein Welt-Überbleibsel;<br />
Man fühlt sich vor dem Dom wie ein Wurm<br />
Mit seinem modernen Geschreibsel!<br />
<br />
Vor dieser dunklen, gefrornen Musik<br />
Ist, was wir schaffen, vom Übel!<br />
Man sammelt sich erst, fällt trunken der Blick<br />
Auf die neu angemeißelten Giebel.<br />
<br />
Da denkt man, wer das geleistet hat,<br />
Und kehrt in's Dasein zurücke,<br />
Da denkt man an den Gemeinde-Rat<br />
Und an die zerfallene Brücke.<br />
<br />
Zerfallen ist Alles, zerfallen auch wir,<br />
Zerfasert das ganze Leben —<br />
Was war das vor Jahrhunderten hier<br />
Für ein anderes Streben und Weben!<br />
<br />
Die "Brandstatt" dort! In Ritterpracht<br />
Da zog man zum Turnier aus;<br />
Wo dem Sieger die Dam' einst zugelacht,<br />
Steht jetzt ein elendes Bierhaus.<br />
<br />
War Mummenschanz und Tanz und Schmaus<br />
Des lust'gen Bildes Rahmen;<br />
Hatt' and're Miene Mensch und Haus —<br />
Sie trugen auch andere Namen.<br />
<br />
Der "Baumschaber" hieß ein Bürger der Stadt,<br />
Der Namen ist keine Fabel,<br />
Der sich bis heut' auch erhalten hat<br />
Im Wiener-Wort: "Bamschabel!"<br />
<br />
"Bamschabel" schwankt so hin und her;<br />
Der Mann, von dem es stammte,<br />
War 'n simpler Bürger — doch paßt's auch sehr<br />
Auf hochgestellte Beamte.<br />
<br />
Einst kannt' ich Einen, hieß Excellenz,<br />
Man folgte seinem Rate,<br />
Und Alles erwies ihm Reverenz,<br />
War Einer der Ersten im Staate.<br />
<br />
Ein Mann von vierzig "Bamschabel-Kraft!"<br />
Man kann sie auch sonst noch wählen<br />
In Akademien der Wissenschaft,<br />
Wo sie wie Andere zählen.<br />
<br />
"Bamschabel" heißt — borniert! doch nein!<br />
Man kann's nicht explizieren,<br />
Man muß ein geborner Wiener sein,<br />
Das Wort ganz zu goutiren.<br />
<br />
Es haben sich viel erhalten noch<br />
Von den älteren Straßen-Namen,<br />
Von denen die wenigsten jedoch<br />
Auf unsere Tage kamen.<br />
<br />
Der "Heidenschuß" noch übrig ist,<br />
Etwa "der Stock im Eisen;"<br />
"Freiung" hieß damals: "auf dem Mist" —<br />
Könnt' jetzt auch noch so heißen!<br />
<br />
"Im Elend" hieß ein schmutz'ger Ort,<br />
Wo Verbrecher und Arme gewinselt;<br />
Doch wischte man längst das "Elend" fort,<br />
Hat "Salzgries" d'rüber gepinselt.<br />
<br />
Die Dinge zu nennen, wie sie sind —<br />
War uns'rer Väter Treiben;<br />
Wir wischen die Namen weg geschwind,<br />
Die schmutzigen Dinge bleiben.<br />
<br />
Im Ganzen das Leben behaglich war<br />
Im alten Österreiche;<br />
Nicht mangelt' es an Torheit zwar,<br />
Doch gab's auch lustige Streiche.<br />
<br />
Gab Minnesänger in Amt und Kraft,<br />
Reimsprecher in Östreicher-Landen;<br />
Als der Ernst kam, wurden sie abgeschafft<br />
So unter den Ferdinanden.<br />
<br />
Doch sonst war zwischen Volk und Fürst<br />
Ein Verhältnis patriarchalisch;<br />
Sie schenkten oft sich Wein und Wurst'<br />
Und schmausten bacchanalisch.<br />
<br />
Trotz alledem möcht' ich mein Lob<br />
Des Mittelalters beschränken;<br />
Die Leute waren da derb und grob —<br />
Das muß man auch bedenken.<br />
<br />
Die Ritter soffen die Humpen aus<br />
Und taten nichts als rauben;<br />
Auch herrscht' überall in Hof und Haus<br />
Der krasseste Aberglauben.<br />
<br />
Die Kaufleut' zog man aus ganz nackt,<br />
Reisten sie hin zur Messe;<br />
Das Volk hatt' mit dem Teufel Pakt —<br />
So kamen die Hexen-Prozesse.<br />
<br />
Von Recht und Sitte keine Spur!<br />
Der Richter glich dem Haufen;<br />
Gerichtsverfahren die Tortur —<br />
Die's aushielten, ließ man laufen.<br />
<br />
Die Übrigen wurden nach Herzenslust<br />
Gespießt, gerädert, gevierteilt,<br />
Das Herz gerissen aus der Brust —<br />
So wurde damals geurteilt.<br />
<br />
Dem freilich trat man entgegen scharf<br />
Schon unter der großen Theresia,<br />
Von der es wahrlich nicht heißen darf:<br />
"Mulier taceat in ecclesia!"<br />
<br />
Fromm, aber Vorurteilen fern,<br />
Ging denen auch kräftig zu Leibe;<br />
Fürwahr, es lag ein tücht'ger Kern<br />
In diesem männlichen Weibe.<br />
<br />
Noch weiter ging ihr edler Sohn<br />
Von reformatorischer Seite;<br />
Der Feuer-Eifer auf dem Thron<br />
Nennt sich: "Joseph der Zweite!"<br />
<br />
Hemmungen mancher Art erfuhr<br />
Sein Geist, sein ungestümer;<br />
Der Eifer war ein König — nur<br />
Vielleicht kein legitimer!<br />
<br />
Die Leute von damals fest und steif<br />
Versicherten, daß sie glaubten,<br />
Die Zeit zu Reformen sei noch nicht reif<br />
Was Leute von jetzt auch behaupten.<br />
<br />
Sei's wie es sei! Ich entscheide nichts.<br />
Nur so viel: die munteren Wiener<br />
Verwandelten sich Angesichts<br />
Josephs — in Josephiner.<br />
<br />
So über ein halbes Sekulum<br />
Läuft auf Kohlmarkt und Graben<br />
Eine Menge kleiner Josephs herum,<br />
Die Männer wie die Knaben.<br />
<br />
Theresia und Joseph sind<br />
Uns Allen in's Herz geschrieben,<br />
Und was sie säten, verweht kein Wind<br />
Der Samen hat getrieben.<br />
<br />
D'rum, liebe Herrn, beherzigt das!<br />
Denn sollen wir nicht zurücksteh'n,<br />
So dürft Ihr uns nicht ohn' Unterlaß<br />
Die alte Geschichte zurückdreh'n.<br />
<br />
Zwar Frömmigkeit gilt heute noch —<br />
Wer wollte die verbannen!<br />
Doch in ein gar zu enges Joch<br />
Muß man den Geist nicht spannen.<br />
<br />
Was hälf' es auch? Es schafft die Zeit<br />
Sich selber ihre Normen;<br />
Der Stoff ist ewig — von Ewigkeit<br />
Sind aber nicht die Formen.<br />
<br />
Ein neuer Bau beginnt — darum<br />
Helft schaffen am Gebäude,<br />
Macht nicht das Volk verstockt und dumm,<br />
Gönnt ihnen Lebensfreude.<br />
<br />
Glaubt mir, die Welt steht fest und breit,<br />
Läßt sich nicht schieben und rücken,<br />
Und in die ausgelebte Zeit<br />
Da führen keine Brücken!<br />


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