Das rote Tor und die Speckseite

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Man hängte einst eine Speckseite an den Turm und ließ verlautbaren, dass sie dem gehöre, der in seinem Haus nicht unter dem Pantoffel stand und sie herunterholen konnte. Nun, es waren gar nicht viele, die es probierten - als schließlich ein Schuster daherkam und meinte, er sei ganz sicher der Herr im eigenen Haus. Er zog sich den Rock aus und machte sich daran, am Turm empor zu klettern. Doch plötzlich besann er sich und gab sein Ansinnen auf. "Meine Frau wird mir böse sein, wenn ich mir die Hose schmutzig mache", erklärte er, bevor er wieder in der Menge verschwand. [1]

Die Legende wurde von Johann Nepomuk Vogl auch in ein Gedicht verwandelt: Die Speckseite unter dem roten Turme in Wien.


Eine weitere Variante findet sich im Österreichischen Sagenbuch von J. Gebhart:

Als in Wien noch der alte Rote Turm stand, war hoch auf demselben eine Speckseite aufgehangen, die aus Holz geschnitten mit folgender Inschrift umgeben war:

"Befind dich irgend hier ein Mann,
Der mit der Wahrheit sprechen kann,
Dass ihm seine Heirat nicht gerauen
Und fürcht sich nicht vor seiner Frauen
Der mag diesen Backen herunter hauen."

Man erzählt, dass mehr als ein Jahrhundert lang vorübergegangen, eh es ein Mann wagte, seine Ansprüche darauf geltend zu machen. Endlich aber erschien Einer mit der Behauptung, dass er in seinem Hause unumschränkter Gebieter sei und demnach mit Recht den Preis fordern könne. Der Magistrat wusste dagegen nichts einzuwenden: Er bewilligte die Wegnahme und erließ dazu die nötigen Befehle. Eine große Menge Volkes versammelte sich, um das denkwürdige Schauspiel mit anzusehen. Schon war die Leiter aufgestellt, auf welcher der Mann aller Männer hinaufsteigen und das ominöse Denkmal früherer Zeiten als Siegestrophäe holen sollte; da weigerte er sich plötzlich, den Akt selbst zu vollführen und bat um einen Stellvertreter, in dem er hinzufügte: "Ich habe, um als Sieger würdig zu erscheinen, meine besten Kleider angezogen; wie leicht sind sie beschmutzt, und ich werde darüber zu Hause von meiner Frau tüchtig ausgescholten."

Das nahestehende Volk brach in schallendes Gelächter aus, der unumschränkte Gebieter aber zog sich beschämt zurück und verschwand unter der Menge. Wie früher soll sich auch später kein Mann mehr gefunden haben, der Ansprüche auf die Speckseite erhoben hätte; die gute alte Inschrift bestand so lange als ihr Träger - der Rote Turm.

Einige wollen behaupten, die aus Holz geschnittene Speckseite sei zur Erinnerung an eine Begebenheit aus der ersten türkischen Belagerung Wiens (1529) aufgehängt worden. Sie erzählen, unter den Feinden hätte sich die Nachricht verbreitet, dass es den Belagerten an Lebensmitteln fehlte: Diese aber, kaum davon in Kenntnis gesetzt, schritten zum Gegenbeweis und warfen mehrere Speckseiten hinunter in den Graben; andere hängten sie über die Mauer hinaus. Als endlich die Türken abgezogen, habe man die erfreuliche Episode auf die bezeichnete Weise verewigen wollen. [2]


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Quellen

  1. A. Realis: Curiositaten und Memorabilien-Lexicon von Wien, Anton Köhler Verlag, Wien, 1846. S. 47 f.
  2. J. Gebhart: Österreichisches Sagenbuch, Lauffer & Stolp, 1862, Wien. S. 24-25